Hat die klassische Tankstelle noch eine Zukunft?

Hat die klassische Tankstelle noch eine Zukunft?

24. Juni 2025 0 Von Jürgen Rinn

Der deutsche Tankstellenmarkt steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Das jahrelange stabile und profitable Geschäftsmodell der Tankstelle gerät zunehmend unter Druck. Sinkende Kraftstoffabsätze, steigende Betriebskosten und neue regulatorische Anforderungen erfordern ein Umdenken.

Wie eine Tankstelle ihre Zukunft in einem sich wandelnden Mobilitätsökosystem sichern können, hat die Management- und Technologieberatung BearingPoint in einer Studie untersucht. Sie zeigt, wie sich das traditionelle Geschäftsmodell durch Elektromobilität, veränderte Kundenbedürfnisse und regulatorischen Druck grundlegend transformieren wird. Neue Wettbewerber, veränderte Kundenbedürfnisse und technologische Entwicklungen fordern klassische Anbieter heraus. Die Frage ist nicht mehr, ob sich die Tankstelle verändern muss, sondern wie schnell und in welche Richtung.

Vom Kraftstoffverkauf zum Mobilitäts-Hub

Mit derzeit über 14.000 Standorten ist die Tankstelle nach wie vor ein fester Bestandteil der deutschen Infrastruktur. Aber die Tankstelle der Zukunft wird nicht mehr primär vom Kraftstoffverkauf leben. Während dieser heute noch 60 bis 70 Prozent des Umsatzes ausmacht, gewinnt das bereits heute margenträchtige, Shop- und Service-Geschäft zunehmend an Bedeutung. Der Rückgang fossiler Kraftstoffe und der Hochlauf der Elektromobilität erfordern eine grundlegende Neuausrichtung.

„Die Frage ist nicht mehr, ob sich die Tankstelle verändern muss, sondern wie schnell und in welche Richtung. Erfolgreiche Betreiber werden sich vom reinen Kraftstoffanbieter zum integrierten Mobilitätsdienstleister entwickeln, der Ladeinfrastruktur, digitale Services und neue Geschäftsmodelle intelligent kombiniert.“

Nina London, Partnerin bei BearingPoint

Drei mögliche Zukunftsszenarien je nach Standort

Die Studie macht drei unterschiedliche Entwicklungspfade deutlich, abhängig vom Standort. Das wäre einmal in der Stadt. Hier in urbanen Räumen entwickelt sich die Tankstelle zum Mobilitätsknoten mit Fokus auf Elektromobilität, digitale Services und Convenience-Angebote. So wird die Tankstelle zur Plattform für verschiedene Verkehrsmittel und Dienstleistungen. Im ländlichen Raum droht vielen klassischen Tankstellen das Aus. Heimladen bei E-Autos und sinkende Frequenz führen zu einem schleichenden Rückbau. Nur spezialisierte Anbieter mit lokalen Zusatzservices werden überleben können.
An Autobahnen werden sich Tankstellen zu hochwertigen Verweilstationen mit Schnellladetechnologie, gastronomischen Angeboten und Erlebnischarakter entwickeln. Der Fokus verschiebt sich vom schnellen Tankstopp zur qualitativ hochwertigen Pause.

Digitalisierung als Schlüsselfaktor

Laut Studie werden digitale Services für Tankstellenkunden immer wichtiger. Über 60 Prozent der Befragten würden eine Tankstelle eher besuchen, wenn sie durch den Besuch Punkte oder Rabatte sammeln könnten. Gefragt sind auch kontaktlose Bezahlmöglichkeiten und digitale Preisbenachrichtigungen. Die Digitalisierung stellt aber auch viele Betreiber vor Herausforderungen. Hohe Investitionskosten, komplexe IT-Infrastrukturen und der Mangel an Fachkräften erschweren die Transformation besonders für kleinere Anbieter.

Konsolidierung des Marktes wird erwartet

Einen deutlichen Rückgang der Tankstellenzahl in Deutschland beschreibt die Studie. Je nach Szenario könnte die Anzahl von aktuell rund 14.400 auf 12.800 bis 11.000 Stationen im Jahr 2035 sinken. Besonders betroffen wären ländliche Standorte ohne zusätzliche Serviceangebote. Gleichzeitig zeichne sich eine Verschiebung der Marktanteile ab. Während die „Big Five“ (Aral, Shell, TotalEnergies, Esso und Jet) aktuell rund 67 Prozent des Kraftstoffabsatzes kontrollieren, könnten neue Player aus dem Energie-, Handels- und Technologiesektor an Bedeutung gewinnen.

Handlungsempfehlungen für Betreiber einer Tankstelle

„Tankstellenbetreiber müssen jetzt die Weichen für die Zukunft stellen. Die Transformation der Tankstelle bietet enorme Chancen, wenn man sie proaktiv gestaltet“, betont Nina London. Die Studie verweist dabei auf strategisches Portfoliomanagement, also regelmäßige Überprüfung, welche Standorte zukunftsfähig sind sowie die Entwicklung standortspezifischer Konzepte für Stadt, Land und Autobahn. Zudem wird der Aufbau von Partnerschaften mit Energie-, Handels- und Technologieunternehmen sowie die konsequente Digitalisierung von Prozessen und Kundenschnittstellen erforderlich. Aber auch die Erschließung neuer Zielgruppen wie Flottenbetreiber und Mobilitätsplattformen sind ein Muss.


Foto: ARAL

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