KI und Nachhaltigkeit sichern Lieferketten
17. Juli 2024Globale Lieferketten mit ihren eng getakteten Netzwerken und weltweit verteilten Lieferanten- und Kundenstrukturen sind momentan so fragil wie nie. Personalmangel, unsichere Transportwege, Streiks, geschlossene Häfen oder Naturkatastrophen sind weitere Auslöser, die dafür sorgen, dass globale Lieferkettenstörungen mittlerweile fast schon zum Alltag gehören und es Unternehmen zunehmend schwer machen, präzise zu planen. Um ihre Umsatzziele auch weiterhin zu erreichen, sehen immer mehr Firmen die Notwendigkeit, ihre Lieferkette durch strategische Investitionen abzusichern. Das hat eine aktuelle Studie des Supply Chain Spezialisten Blue Yonder ergeben. Gastbeitrag von Gabriel Werner, Experte für Supply Chain Management, Automatisierung und künstliche Intelligenz in der Lieferkette.
Laut der weltweit durchgeführter Studie von Blue Yonder, die 600 Führungskräfte im Lieferketten-Management zu ihren strategischen Supply-Chain- und Logistikaktivitäten im letzten Jahr interviewt hat, investierten Unternehmen vor allem in die Bereiche Nachhaltigkeit und innovative Technologielösungen. Danach konnten 43 Prozent der befragten Unternehmen ihren Umsatz im vergangenen Jahr steigern und 38 Prozent Störungen entlang der Lieferketten reduzieren. In der DACH-Region konnten 44 Prozent der Unternehmen zudem ihre Effizienz steigern und ihren Marktanteil ausbauen.
84 Prozent der befragten Unternehmen von Störungen der Lieferketten betroffen
Laut der Umfrage von Blue Yonder war eine große Mehrheit von 84 Prozent der weltweit befragten Unternehmen im Vorjahr von Unterbrechungen der Lieferketten betroffen. In der DACH-Region waren sogar fast alle, nämlich 97 Prozent der Unternehmen, mit Störungen konfrontiert, die meisten im Vergleich aller Regionen. Über die Hälfte der Störungen im DACH-Raum lag dabei im moderaten (54 Prozent) und geringfügigem (37 Prozent) Bereich. Besonders schwere Störungen verzeichneten die Lieferketten in UK (11 Prozent). Die DACH-Region kam mit einer Quote von 5 Prozent vergleichsweise glimpflich davon.
Die befragten Unternehmen führten ihre Lieferketten-Probleme hauptsächlich auf die mangelnde Verfügbarkeit von Rohstoffen (48 Prozent) und verlängerte Lieferzeiten bei Materiallieferanten (47 Prozent) zurück. Als weitere Ursachen wurden fehlende Arbeitskräfte (44 Prozent) sowie mangelnde Verfügbarkeit von Transport- und Frachtschiffen (41 Prozent) genannt. In der DACH-Region kam es aufgrund von Extremwetter/Klimawandel und Änderungen der Schifffahrtsrouten zudem häufiger zu wetterbedingten Störungen als in anderen Regionen.
Fachkräftemangel die Hauptursache für Probleme in Lieferketten
Die am häufigsten genannten Folgen der Lieferketten-Unterbrechungen waren verzögerte Lieferzeiten für die Kunden (42 Prozent), Produktionsstillstand (42 Prozent) und das Nichteinhalten-Können neuer Vorschriften (39 Prozent). Die beiden gravierendsten Auswirkungen – Verzögerungen für den Kunden und Produktionsstillstände – waren in den meisten Regionen identisch. Im DACH-Raum wurde hingegen der Mangel an qualifiziertem Personal mit 49 Prozent als Hauptursache für Lieferkettenunterbrechungen angegeben.
Stark gestiegene Kosten bei Transport und Material
Steigende Kosten, vornehmlich verursacht durch Inflation, gehören zu den zentralen Herausforderungen, mit denen Supply-Chain Manager im letzten Jahr konfrontiert waren. Im DACH-Raum sowie in Frankreich/Benelux waren die Transportkosten besonders hoch. 48 Prozent der Unternehmen in DACH und 47 Prozent in Frankreich/Benelux gaben an, dass dieser Bereich am stärksten von der Inflation betroffen war. In anderen Regionen stiegen vor allem die Materialkosten. Mit 41 Prozent war hier die Teuerungsrate in UK am höchsten, gefolgt von US mit 36 Prozent. In DACH und Frankreich/Benelux fiel die Preiserhöhung beim Material mit jeweils 28 Prozent vergleichsweise moderat aus.
Sinkende Profite bei 46 Prozent der befragten Unternehmen
Durch die Kombination aus hoher Inflation, Störungen der Lieferketten und einem insgesamt verlangsamten Wirtschaftswachstum verringerte sich bei vielen Unternehmen die Gewinnspanne. Aufgrund steigender Kosten reduzierten sich bei insgesamt 46 Prozent der weltweit befragten Unternehmen die Margen. Am stärksten sanken die Gewinne in den Vereinigten Staaten. Hier verzeichneten 60 Prozent der befragten Unternehmen sinkende Profite, gefolgt von DACH (43 Prozent), Frankreich/Benelux (26 Prozent) und UK (24 Prozent). Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen verzeichneten jedoch auch höhere Gewinnspannen. Besonders hohe Margenzuwächse verzeichneten die Unternehmen in der Region Frankreich/Benelux (58 Prozent). Es folgen die DACH-Region (41 Prozent), UK (39 Prozent) und US (24 Prozent).
Erhöhte Investitionen bei KI-basierten Technologien und Nachhaltigkeit
Um Gewinneinbußen abzufedern, nimmt die Bedeutung strategischer Investitionen in die Lieferketten für Unternehmen immer mehr zu. Acht von zehn der befragten Unternehmen (79 Prozent) haben im letzten Jahr ihre Investitionen im operativen Bereich der Lieferkette erhöht und lediglich 4 Prozent ihre Investitionen reduziert. Weltweit investierten 51 Prozent der befragten Firmen mehr als 10 Millionen Dollar in die Lieferkette. In US, UK und Frankreich/Benelux investierten 80 Prozent der Unternehmen weniger als 15 Mio. Euro in die Lieferkette. Eine Ausnahme bildet die DACH-Region. Hier investierten 31 Prozent der Firmen mehr als 15 Mio. Euro. In allen befragten Regionen investierten die Unternehmen vor allem in zukunftsfähige Bereiche wie Nachhaltigkeit (48 Prozent) oder KI-basierte Technologien (41 Prozent). Weitere Schwerpunkte lagen auf der Entwicklung neuer Strategien (40 Prozent), der Beschaffung zusätzlicher Arbeitskräfte (39 Prozent) und der Umsetzung der digitalen Transformation (37 Prozent).
Nachhaltigkeit hat in den meisten Regionen hohe Priorität
Das Thema Nachhaltigkeit hatte für fast alle Unternehmen die höchste Priorität. Besonders hoch waren die Investitionen im Bereich Nachhaltigkeit in der US-Region. 55 Prozent der US-amerikanischen Unternehmen erhöhten ihren Etat in diesem Bereich (gegenüber 42 Prozent im Jahr 2023 und 43 Prozent im Jahr 2022), dicht gefolgt von der DACH-Region (49 Prozent) und Frankreich/Benelux (46 Prozent). In UK erhöhten 27 Prozent der befragten Firmen ihre Nachhaltigkeitsausgaben. Das ist der niedrigste Wert aller Regionen. Während das Thema Transporteffizienz für Frankreich/Benelux (63 Prozent) und US (59 Prozent) oberste Priorität hat, konzentrierten sich Unternehmen in der DACH-Region hauptsächlich auf die Verringerung von Abfall und Ausschussware (66 Prozent) sowie auf das Reduzieren von Rückgabeprozessen (47 Prozent) entlang der gesamten Lieferkette.
KI auf dem Vormarsch
Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in das Supply Chain Management ist für Unternehmen zu einem wichtigen Erfolgsfaktor geworden und steht bei den Investitionen in Lieferketten an zweiter Stelle. Durch den Einsatz von KI können Unternehmen nicht nur die Produktivität von Lieferketten steigern, sondern ihre Supply Chains auch widerstandsfähiger und reaktionsfähiger machen. Laut der Blue Yonder Umfrage nutzen mittlerweile mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen KI für die Lieferkettenplanung (56 Prozent), im Transportwesen sind es 53 Prozent und im Auftragsmanagement 50 Prozent.
Effektivere Prozesse durch generative KI
Generative KI hat ein großes Potenzial und könnte die Art und Weise, wie Unternehmen mit Lieferkettenprozessen umgehen, grundlegend verändern. Seit ihrem Aufkommen haben die meisten der befragten Unternehmen generative KI in irgendeiner Form in ihren Lieferketten implementiert (80 Prozent), entweder vollständig (12 Prozent), teilweise (33 Prozent) oder in Pilotprojekten (35 Prozent). 91 Prozent der befragten Unternehmen sind der Meinung, dass sich durch generative KI Lieferkettenprozesse optimieren und Entscheidungsfindungen effektiver durchführen lassen. Bei US-amerikanischen Unternehmen steht generative KI – im Vergleich zu KI/Machine Learning (ML) – schon heute klar an erster Stelle. Britische Unternehmen setzen generative KI und KI/ML eher gleichwertig ein, während die DACH-Region vorwiegend KI/ML-basierte Lösungen nutzt.
Zukunftsfähige Lieferketten schaffen
Eine nachhaltige Ausrichtung der Supply Chain wird kombiniert mit dem Einsatz von KI-Technologien zu einem immer bedeutenderem Instrument, um die Beschaffung entlang der Wertschöpfungskette sozialer, ökologischer und sicherer zu gestalten. Durch den Einsatz von KI-Tools lassen sich die riesigen Datenmengen entlang der Lieferkette besser und schneller verarbeiten und verschaffen Unternehmen wertvolle Einblicke in ihre Prozesse. Auf diese Weise können sie nicht nur unvorhergesehene Störungen präziser erkennen, sie können auch ihre Abläufe nach Bedarf planen, ihre Effizienz steigern und zukünftige Entwicklungen klarer vorhersehen.
Methodik der Umfrage
Die Umfrage ‚2024 Supply Chain Executive Survey‘ wurde für Blue Yonder von einem Drittanbieter vom
1. bis 15. März 2024 durchgeführt. Die Antworten wurden von mehr als 600 C-Level- und Senior-Führungskräften aus den Bereichen Produktion, Einzelhandel, Drittanbieter-Logistik und Regierung gesammelt, die für die Bereiche Supply-Chain-Strategie, -Planung, -Logistik und -Produktionsabläufe in den USA, Großbritannien, DACH und Frankreich/BENELUX verantwortlich sind.
Über Gastautor Gabriel Werner
Unser Gastautor Gabriel Werner ist Experte für Supply Chain Management, Automatisierung und künstliche Intelligenz in der Lieferkette. Mit seinem Team deckt er die gesamte Wertschöpfungskette im Supply Chain Management ab, von der Planung bis zur Steuerung. Gabriel Werner hilft Kunden aus der industriellen Fertigung, Logistik und Retail bei der Digitalisierung ihrer Lieferketten. Vor seiner jetzigen Tätigkeit war er als Vice President Manufacturing für die DACH-Region und Vice President of Solutions Advisory für Blue Yonder in der EMEA-Region tätig. Er kam im April 2011 als Senior Solutions Advisor zu Blue Yonder und unterstützte Unternehmen bei der Verbesserung ihrer Lieferkettenleistung durch den Einsatz von Technologie. Er durchlief verschiedene Rollen, u.a. die des Vice President. Seit 2024 ist er als Global Field CTO branchenübergreifend für alle Blue Yonder Industrien verantwortlich.