Schaltbare Verglasung: Conti will das Autoglas intelligent machen
7. August 2019 2 Von Dr. Frauke HewerJedes moderne Auto ist rundum mit rund fünf Quadratmetern Glas versehen. Vor 30 Jahren war es nur gut die Hälfte. Viele Komponenten im Auto kommunizieren heute miteinander. Nur das Glas bleibt stumm. Zulieferer Continental will das jetzt ändern und mit neuer Folientechnologie automatische Verdunklungen möglich machen. Das Zauberwort heißt „schaltbare Verglasung“.
Scheibe aktiv und intelligent
„Die Fensterscheibe wird zunehmend zum aktiven, intelligenten Teil des Fahrzeugs“, sagt Johann Hiebl, Leiter der Continental Geschäftsbereiche Body & Security und Infotainment & Connectivity. „Intelligent Glass Control ist ein innovatives Konzept, das wir jetzt weiterentwickeln, um Fensterscheiben noch effektiver in die Benutzeroberfläche des Autos zu integrieren. Damit wird das Autofahren komfortabler und sicherer – und dank neuer Verdunklungs- und Wärmefunktionen lässt sich signifikant Energie sparen. Das alles ist auch im Hinblick auf Elektromobilität und autonomes Fahren ein wichtiger Entwicklungsschritt.“
Dank neuer Folientechnologien lassen sich laut Conti Panoramadächer auf Befehl in nie gekannter Qualität verdunkeln, ein Teil der Frontscheibe kann bei tiefstehender Sonne rechtzeitig getönt oder die Fenster hinter der B-Säule für mehr Privatsphäre auf den Rücksitzen abgedunkelt werden. Außerdem können Scheiben ohne Heizdrähte automatisch beheizt werden – oder sogar als Display dienen. Möglich wird all dies durch schaltbare Verglasung.
Die intelligente Glasansteuerung arbeitet mit speziellen Folien, die in das Glas eingebunden sind und durch elektrische Steuersignale ihre Lichtdurchlässigkeit verändern. Dafür gibt es verschiedene Technologien, die aber unterschiedliche Vor- und Nachteile hinsichtlich der optischen Qualität oder der Verdunklungsgeschwindigkeit der Glasscheiben haben. Bisher konnten solche intelligenten Scheiben hauptsächlich im Bereich von Panoramadächern eingesetzt werden. Continental setzt nun unter anderem auf eine innovative Technologie, die sich für alle Scheiben im Fahrzeug eignet und das Potenzial der Glasansteuerung noch einmal deutlich steigert: Die LC- beziehungsweise „Liquid Crystal“-Technologie ermöglicht zukünftig eine bisher nicht gekannte Qualität für schaltbare Verglasungen im Fahrzeugbereich.
Schaltbare Verglasung macht das Glas manchmal undurchsichtig
Bei einer Form von LC-Autoglasscheiben schwimmen Flüssigkeitskristalle zusammen mit kleinsten Farbpartikeln in einer speziellen Suspension, die wiederum in eine feine Folie zwischen zwei dünnen Glasscheiben integriert ist. Unter Einfluss einer geringen Wechselspannung werden die Flüssigkeitskristalle gemeinsam mit den Farbpartikeln so ausgerichtet, dass sich die Scheibe verdunkelt oder aufhellt. „Diese Technologie auf Basis des Liquid-Crystal-Prinzips hat das Potential künftig das Nonplusultra für moderne, intelligente Glasscheibensysteme zu sein“, sagt Dr. Tobias Frischmuth, Technical Project Leader Intelligent Glass Control bei Continental. „Innerhalb von Millisekunden lässt sich der Klarsicht- oder Verdunklungszustand einer Scheibe verändern. Entscheidend ist: Die Scheiben weisen im Klarsicht-Modus keine sichtbare Resttrübung mehr auf. Zudem lassen sich verschiedene Farbgebungen realisieren.“
Die generellen Vorteile von schaltbaren Verglasungstechnologien sind bemerkenswert. So lässt sich jede Scheibe im Auto auf Wunsch einzeln abdunkeln. Das ist derzeit aufgrund gesetzlicher Bestimmungen zwar noch nicht auf allen Fahrzeugscheiben erlaubt, die Einsatzgebiete für künftige Anwendungen sind jedoch zahlreich. Werden auch hintere Scheiben abgedunkelt, etwa für die Privatsphäre im Fond, hat dies auch spürbar positive Auswirkungen auf das Innenraumklima. Dadurch besteht Potential, die Klimaanlage zu entlasten und die CO2-Emissionen zu senken.
Glasscheibe ganz nach Wetterlage
Wird die Tönungsfunktion in der Windschutzscheibe mit dem Bordnetz und der Cloud-Anbindung gekoppelt, können Bereiche der Scheibe entsprechend der Wetterlage und des Sonnenstands rechtzeitig automatisch abgedunkelt oder aufgehellt werden. Das erspart nicht nur den riskanten Griff zur Sonnenblende, es macht die mechanische Sonnenblende letztlich überflüssig. Dazu kommen die Vorteile des Wärmemanagements: Als weiteres Anwendungsbeispiel könnten die Scheiben, vernetzt mit dem Schließsystem, im Winter sofort enteisen, wenn der Fahrer sich seinem Auto nähert.
Auch die Effektivität adaptiver Kamerasysteme kann mit Hilfe einer intelligenten Glasansteuerung verbessert werden. Diese sind zum Beispiel für Funktionen des autonomen Fahrens wichtig und werden, wenn im Bereich des Innenspiegels positioniert, bei tiefstehender Sonne beeinträchtigt. Mit Intelligent Glass Control kann die Autoscheibe künftig auch Funktionen in der Mensch-Maschine-Interaktion übernehmen: Auf der smarten Glasscheibe ließen sich Informationen der Fahrerassistenz- und Infotainment-Systeme einblenden. Die Scheibe könnte zudem mit Touchscreen-Elementen zu einem smarten Display werden. Continental hat sowohl das Elektronik-Know-how als auch die Systemkompetenz für die Integration von innovativen Technologielösungen, um solche schaltbaren Verglasungen realisieren zu können.
Die Weiterentwicklung von Intelligent Glass Control geht laut Continental einher mit dem allgemeinen Trend in der Automobilbranche zu immer größeren Glasflächen. Dabei hat wohl kaum ein künstlich hergestellter Werkstoff eine derart lange Karriere hinter sich wie Glas – und noch vor sich. Was vor 2500 Jahren mit dem robusten Glaskelch eines Pharaos im alten Ägypten begann, ist heute ein wichtiges Forschungs- und Entwicklungsfeld rund um einen Hightech-Hybrid-Werkstoff geworden. Glas, kombiniert mit Flüssigkeitslösungen, speziellen Kristallen, Nano- und Farbpartikeln und vor allem einer intelligenten und vernetzten Steuerung, wird künftig einer der wesentlichen Innovationsträger der Automobilindustrie sein.
Über den Autor
Frauke ist Aftermarket-Profi seit dem Jahr 2000. Zu dieser Zeit startete sie als Pressesprecherin einer Werkstattkette, bevor sie zu einem Automobilzulieferer als Presseverantwortliche wechselte. Seit 2005 ist sie selbstständige PR-Beraterin und war parallel sieben Jahre Redakteurin der Fachzeitschrift amz.
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