Simon-Kucher: Sind 58 Prozent der Weltwirtschaft bedroht?
18. Juni 2020Dass die Corona-Beschränkungen starke Auswirkungen auf die weltweite Wirtschaft haben, ist unbestritten. Jetzt hat die Management-Beratung Simon-Kucher & Partners untersucht, wie die Bedrohungslage wirklich aussieht. Das Ergebnis ist wenig überraschend.
Von florierend bis bedroht: Corona fördert einiges zutage
Eine aktuelle Expertenanalyse liefert neue Erkenntnisse darüber, wie stark die Covid-19-Pandemie Unternehmen rund um den Globus bedroht. Das Ergebnis: Unternehmen lassen sich in vier Kategorien einteilen: florierend (thriving), überfordert (overwhelmed), unausgelastet (overweight) und bedroht (threatened). Bei der Untersuchung von Nachfrageschwankungen in den unterschiedlichen Branchen, ausgelöst durch veränderte Kundenvorlieben und -verhalten, sowie von neuen Herausforderungen im Vertrieb durch Kontaktbeschränkungen und gesetzliche Auflagen, berechneten die Experten für jede Branche die Auswirkungen anhand eines Punktesystems*. Davon ausgehend erstellte Simon-Kucher eine Krisen-Matrix, auf der insgesamt 23 unterschiedliche Branchen einer der vier Kategorien zugeteilt werden konnten.
Mehr als die Hälfte bedroht
Das Alarmierende: Laut dieser Analyse sind derzeit 58 Prozent der Weltwirtschaft bedroht – in einem Wert von insgesamt 50 Billionen US-Dollar. Das zeigt nicht nur, dass die Auswirkungen der Krise in einzelnen Branchen enorm sind. Sondern auch, dass es eben nicht nur wenige Bereiche, wie etwa Tourismus und Gastronomie, betrifft. Die Automobilbranche, die Fertigungsindustrie, der Handel, Maschinenbau, Logistik, das Baugewerbe und die Werbebranche – sie alle gehören zu den bedrohten Branchen.
„Auch wenn viele Unternehmen die letzten Monate überstanden haben, ist es äußerst fraglich, wie lange sie noch durchhalten können. Firmen aus der Bedroht-Kategorie müssen daher ihr Geschäftsmodell grundsätzlich auf den Prüfstand stellen.“
Jan Haemer, Partner von Simon-Kucher
Viele sind überfordert
Dazu sei es nötig, Marktangang und Vertriebsstrukturen zu reorganisieren, die Customer Journey anders aufzubauen sowie neue Bezahlmodelle zu nutzen und neue Wettbewerbsvorteile zu schaffen. „Gleichzeitig müssen sie Altes über Bord werfen, das in einer Welt mit Corona nicht mehr den Kundenbedürfnissen entspricht und Ihr Angebot darauf ausrichten, was für den Kunden in Zukunft wichtig ist.“, so Haemer.
Laut Analyse machen „unausgelastete“ Unternehmen, die zwar erhebliche Nachfrageinbrüche haben, jedoch nur geringfügig in ihrem Vertriebsmodell beeinträchtigt sind, 14 Prozent der Weltwirtschaft aus, was einem geschätzten Wert von zwölf Billionen US-Dollar entspricht. Hingegen sind 17 Prozent (ca. 14 Billionen US-Dollar) überfordert, erleben also einen solchen Nachfrageanstieg, dass sie möglicherweise nicht in der Lage sind zu liefern oder ihre Qualitäts- und Servicestandards aufrechtzuerhalten.
Nur 11 Prozent florieren
Positiver stimmt ein anderes Ergebnis der Studie: Elf Prozent der Wirtschaft mit einem ungefähren Wert von neun Billionen US-Dollar können sogenannten florierenden Branchen zugeordnet werden. Pharma-, Telekommunikations-, Software-, Internet- und Medienunternehmen profitieren derzeit von Nachfrageverschiebungen und die derzeitigen Social-Distancing-Maßnahmen verhindern hier weder den allgemeinen Konsum noch Marketingmaßnahmen in der Neukundenerschließung oder Produktentwicklung. „Jedes Unternehmen will derzeit in dieser Situation sein, die meisten sind aber nur durch Glück oder Zufall hierher geraten“, beurteilt Andreas Hudelmaier, Partner von Simon-Kucher, die Lage.
Wie man die Krise überstehen kann
Fest steht, die erhobenen Zahlen sind nicht unveränderlich: Eine genaue Summe des durch die Corona-Pandemie verursachten gesamtwirtschaftlichen Schadens wird erst nach der Krise feststehen. Hinzu kommt: Niemand weiß, wie oft das wiederaufflackernde Covid-19-Virus die Wirtschaft – und damit die Unternehmen – durch wiederkehrende staatlich verordnete Beschränkungen dazu zwingen wird, noch einmal auf Neustart zu gehen. „Daher sprechen wir von einer wiederkehrenden Krise“, so Hudelmaier. Im Unterschied zu einer klassischen Wirtschaftskrise, die meist einen linearen Nachfrageeinbruch sowie eine ebensolche Erholung aufweist, belastet eine wiederkehrende Krise sowohl Nachfrage als auch Vertriebsmodelle. „Für diese Doppelbelastung hat so gut wie kein Unternehmen eine Strategie in der Tasche“, sagt Hudelmaier.
Wie sich die Unternehmen dabei schlagen sei, so Haemer, von ihrer Commercial Agility abhängig. „Das ist die Fähigkeit, schnell und flexibel immer und immer wieder belastbare Entscheidungen bezüglich Angebotsgestaltung, Vertrieb, Kostenmanagement und Preisgestaltung zu treffen. Und zwar bis der Markt sich wieder einigermaßen beruhigt hat“, erklärt Haemer.
*Über das Bewertungssystem: Nachfragestärke bewerteten die Simon-Kucher-Experten anhand von Kriterien wie Volumen, Kundenverhalten, Preissensibilität und Wettbewerbsreaktionen. Auswirkungen auf den Vertrieb maß das Team anhand von Kriterien wie Kundenzugang, Vertriebsansatz, Vertriebskapazität und Lieferkette.