Autobranche: Zahlungsausfälle werden wahrscheinlicher
27. September 2019Der Kreditversicherer Atradius schlägt Alarm. Die Krise der Automobilindustrie ist im Tagesgeschäft der Risikoabteilungen angekommen und lässt die Zahl der Zahlungsausfälle entlang der Wertschöpfungskette der gesamten Branche weiter steigen. Dazu hat das Unternehmen eine Studie erstellt, in der die einzelnen Länder genau beleuchtet werden.
Zahlungsausfälle: Risiken in Europa und China
Besonders große Unsicherheiten gehen aktuell von Geschäften mit Zulieferern und Autohändlern in Europa und China aus. Das zeigt die jetzt veröffentlichte Analyse „MarktMonitor Automotive 2019“ von Atradius. Der internationale Kreditversicherer rechnet damit, dass sich in den kommenden zwölf Monaten die Insolvenzen am stärksten in der britischen Automobilbranche erhöhen (+7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum), gefolgt von China und Italien (jeweils +5 Prozent) sowie Frankreich und Polen (jeweils +3 Prozent). Auch in Deutschland nehmen die Firmenpleiten im Automobilsektor in diesem Jahr um mindestens 2 Prozent zu. Deshalb sei mit erheblichen Zahlungsausfällen zu rechnen.
Es seien vor allem die Zulieferer der zweiten und dritten Ebene, die jetzt in Schwierigkeiten sind, heißt es bei Atradius. Immer mehr von ihnen könnten im derzeitigen strukturellen Wandel der Automobilbranche nicht mehr mithalten. Gleichzeitig verkürzten sich die Innovationszyklen. Dazu kommt, dass zwischen Auftragserteilung und Lieferung häufig mehrere Jahre liegen. Die kleinen und mittleren Zulieferer müssen deshalb viel vorfinanzieren und müssen immer häufiger die Vorgaben der Hersteller akzeptieren, zum Beispiel flexible Abnahmezahlen von Serienteilen. Werden dann weniger Teile abgenommen als ursprünglich kalkuliert, geraten die Unternehmen in Liquiditätsnöte.
Weniger Autoverkäufe sind ein Risiko für viele
Prognosen zufolge gehen die weltweiten Verkaufszahlen von Automobilen in diesem Jahr um 5 Prozent gegenüber 2018 zurück. Atradius rechnet damit, dass das Zahlungsrisiko in der Branche weiter steigen wird. Bereits jetzt sieht der Kreditversicherer in der globalen Automobilwirtschaft so große Unsicherheiten wie seit der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr. In der Folge hat Atradius nun seine Bewertungen für zahlreiche Sektoren in großen Automobilmärkten herabgestuft. Besonders eingetrübt hat sich dabei der Ausblick für mehrere große europäische Volkswirtschaften und für China.
Zahlungsausfälle in Deutschland wahrscheinlicher
Atradius bewertet das Risiko für Zahlungsausfälle in der deutschen Automobilwirtschaft aktuell als „erhöht“. Im vergangenen Jahr lag die Einschätzung für die gesamte Branche noch bei „durchschnittlich“. Grund für die Herabstufung sind vor allem die weiter zunehmenden Herausforderungen für die Zulieferer ab der zweiten Ebene (Tier 2). Hier sieht Atradius eine erheblich erhöhte Gefahr für Zahlungsausfälle und -verzögerungen: Gerade für Anbieter, deren Schwerpunkt auf Komponenten für Benzin- und Dieselmotoren liegt, drängt die Zeit immer mehr, das Geschäftsmodell anzupassen und Produkte und Lösungen für die „neue Mobilität“ auf den Markt zu bringen. Gleichzeitig ist ihre Liquiditätssituation häufig angespannt und es fehlt oft an Finanzmitteln, um Innovationen voranzutreiben. In der Folge dürften im deutschen Zuliefererbereich in den kommenden Monaten die Insolvenzzahlen ansteigen. Auch unter den deutschen Automobilhändlern sind die Unsicherheiten gegenüber 2018 größer geworden.
Weiterhin „gut“ ist hingegen das Forderungsrisiko der deutschen Automobilhersteller und zahlreicher direkter Zulieferer (Tier 1), so Atradius. Trotz der aktuellen Absatzschwächephase bleibt ihr finanzieller Spielraum groß und ihre Marktsituation stark genug, um den technologischen Wandel in der Industrie mit zu begleiten. Unsicherheiten könnten allerdings auch hier entstehen, wenn es zu US-Zöllen auf europäische Automobilteile, einem weiter eskalierenden Handelsstreit zwischen den USA und China oder einer globalen Rezession kommt.
Großbritannien: das Risiko steigt
Bei britischen Herstellern und Tier-1-Zulieferern schätzt Atradius die Gefahr von Zahlungsausfällen und -verzögerungen nach jüngster Analyse als insgesamt „durchschnittlich“ ein. 2018 lautete das Rating noch „gut“. Bei Tier-2-Zulieferern sowie bei Automobilhändlern müssen Lieferanten derzeit gar von einem „erhöhten“ Forderungsrisiko ausgehen. 2018 hatte Atradius bei beiden Untersektoren noch ein „mittelmäßiges“ Risiko gesehen.
Neben den generellen Veränderungen der Branche durch den strukturellen Wandel basiert die derzeitige Bewertung auf den anhaltenden Brexit-Unsicherheiten. Die Konsumstimmung im Vereinigten Königreich ist verhalten, was sich letztlich auch auf die Produktions- und Verkaufszahlen von Automobilen niederschlägt. Allein die Zahl der neu registrierten Pkw in Großbritannien sank laut des Europäische Automobilherstellerverbands ACEA im ersten Halbjahr um 6,8 Prozent.
Ausfall-Gefahren und Preisdruck in Italien
Auch in Italiens Automobilbranche hat sich der wirtschaftliche Ausblick verschlechtert und die Gefahr von Forderungsausfällen erheblich erhöht. Von Geschäften mit italienischen Herstellern geht laut Atradius derzeit ein „mittelmäßiges“ Forderungsrisiko aus, herabgestuft von „gut“ im Jahr 2018. Im italienischen Zulieferersektor (Tier 1 und 2) ist die Bewertung des Kreditversicherers mit „erhöhtes Risiko“ aktuell sogar um zwei Stufen schlechter als noch im Vorjahr (2018: „gut“). Unverändert gegenüber dem Vorjahr ist die Situation bei den italienischen Automobilhändlern („mittelmäßig“).
Ein Hintergrund der neuen Einschätzung sind die jüngsten Kostensenkungsprogramme von italienischen Autoherstellern. Diese dürften den Preisdruck auf die Lieferanten zunehmend erhöhen. Der Tier-1-Bereich in Italien gilt zwar als technisch fortschrittlich, die Anbieter verfügen jedoch über verhältnismäßig wenig Eigenkapital und sind in hohem Maße von externer Finanzierung abhängig. Sollte sich die Lage im italienischen Finanzsektor weiter verschärfen, könnte das zum Problem für die Lieferanten werden. Im Tier-2-Bereich werden weitere Anbieter von technisch einfachen Komponenten infolge der sich wandelnden Nachfrage am Markt voraussichtlich künftig nicht mehr bestehen, nachdem es hier bereits in den Jahren 2008 bis 2012 zu Unternehmensaufgaben kam.
Frankreich: getrübte Prognose
Nachdem die Zahlungserfahrungen in der französischen Automobilbranche in den vergangenen zwei Jahren gut waren, trübt sich die Prognose auch hier ein: Insbesondere bei Geschäften mit kleineren Zulieferern ist in den kommenden zwölf Monaten mit zunehmenden Zahlungsverzögerungen zu rechnen. In Frankreich sind die Absatzzahlen im ersten Halbjahr 2019 ebenfalls zurückgegangen. Aus Sicht von Atradius dürften dies vor allem kleinere Tier-1-Zulieferer und Tier-2-Unternehmen zu spüren bekommen, deren Umsatzlage sich generell verschlechtert und die dann unter den schrumpfenden Margen besonders zu leiden haben. Die Sparmaßnahmen, die französische Hersteller eingeführt haben, um in neue Technologien zu investieren, könnten den Preisdruck auf einige Subunternehmer in den kommenden zwei bis drei Jahren ebenfalls erhöhen. Das Forderungsrisiko bei Geschäften mit französischen Herstellern und großen Tier-1-Firmen dürfte hingegen erst einmal moderat bleiben, unter anderem deshalb, weil drohende US-Zölle die französischen Marken nur geringfügig beeinträchtigen.
Nur wenig Verhandlungsspielraum in Polen
In Polen ansässige Automobilhersteller und -zulieferer sind in hohem Maße von der Auslandsnachfrage abhängig, allein 2018 generierte die Branche 55 Prozent ihres Umsatzes durch Exporte. Die Produktion der Unternehmen aus diesem Sektor ging 2018 um 4,4 Prozent gegenüber 2017 zurück. Die durchschnittliche Zahlungsdauer in der polnischen Automobilbranche beträgt derzeit 115 Tage. Atradius bewertet das Zahlungsrisiko bei Herstellern in Polen aktuell als „mittelmäßig“ und bei Tier-1- und Tier-2-Lieferanten sowie bei Automobilhändlern als „erhöht“. Unsicherheiten bestehen besonders bei Tier-2-Unternehmen. Aufgrund des hohen Wettbewerbs verfügen sie nur über wenig Verhandlungsspielraum bei ihren Geschäften. Das Gleiche gilt für Autoteile- und Reifenhändler. Die Zunahme von Elektroautos dürfte hier ebenfalls das Forderungsrisiko steigern, da nur wenige von ihnen über die finanziellen Mittel verfügen, Innovationen zu entwickeln, die sich für die neuen Autos verwenden lassen. Ein ungeordneter Brexit und US-Zölle würden die polnische Automobilwirtschaft aufgrund ihrer Exportabhängigkeit ebenfalls hart treffen.
China: dauerhafte Absatzschwäche
Im größten Automobilmarkt der Welt hat sich zuletzt vor allem unter den Automobilhändlern das Zahlungsrisiko signifikant verschlechtert. Nach der jüngsten Analyse bewertet Atradius das Forderungsrisiko bei Geschäften mit ihnen als „erhöht“, heruntergestuft von „gut“ im vergangenen Jahr. Hintergrund sind die zuletzt schwachen Verkaufszahlen im Reich der Mitte (-12,4 Prozent im ersten Halbjahr 2019 gegenüber dem Vorjahreszeitraum). Es wird damit gerechnet, dass die Absatzschwäche bis ins kommende Jahr andauern wird.
Ebenfalls mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist das Geschäft mit chinesischen Tier-2-Zulieferern. Gerade in diesem Segment verfügen kleinere Anbieter sowie Unternehmen im Privatbesitz häufig nur über wenig Eigenkapital, gleichzeitig ist ihr Zugang zu Bankfinanzierungen eingeschränkt. Auch bei kleineren chinesische Anbietern von Komponenten für Elektro-Autos steigt das Forderungsrisiko. Elektro-Autos gewinnen zwar weiterhin Marktanteile in China, jedoch steigt die Gefahr von Überkapazitäten in diesem Bereich an, da neue Wettbewerber zunehmend auf den Markt drängen. Vor diesem Hintergrund dürften auch die Insolvenzzahlen von kleineren Herstellern von E-Mobilitätskomponenten in den kommenden zwölf Monaten zunehmen, voraussichtlich um 5 Prozent. Bei Lieferungen an chinesische Hersteller und Tier-1-Zuliefer bewertet Atradius das Forderungsrisiko weiterhin als „gut“. Die Auswirkungen des Handelsstreits mit den USA auf die Branche sind derzeit noch moderat. Nach dem schwachen ersten Halbjahr 2019 sieht Atradius die Gefahr von Zahlungsausfällen in der chinesischen Automobilwirtschaft insgesamt als „erhöht“ an.
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