Big Data als Schlüssel in der Mobilität
3. Februar 2022Der moderne Mensch hinterlässt immer mehr digitale Fußabdrücke. Ob beim Surfen im Netz oder beim Absenden einer Mail, jedes Mal, wenn wir zu Smartphone und Laptop greifen, Apps nutzen oder via Internet einkaufen, hinterlassen wir digitale Spuren und werden so selbst ein Teil von Big Data. Zeitgemäße Autos mit ihren elektronischen Assistenten generieren ebenfalls immer mehr Daten. So sind Fahrzeuge zu mobilen Datenerfassungsgeräten geworden. Das kann hilfreich sei, wirft aber auch die Frage auf, wer über ihre Verwendung bestimmt.
Die Mehrheit der Deutschen wäre bereit, ihre persönlichen Mobilitätsdaten zur Verfügung stellen, wenn der Verkehr dadurch umweltfreundlicher würde. So wären 91 Prozent unter bestimmten Voraussetzungen bereit, ihre persönlichen Mobilitätsdaten in anonymisierter Form preis zu stellen, wenn damit der Verkehr der Zukunft nachhaltiger, klimafreundlicher und zugleich sicherer gestaltet werden könnte. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle repräsentative Befragung von mehr als 1.000 Personen ab 16 Jahren im Auftrag des Digitalverbands Bitkom.
„Die Menschen wollten eben am liebsten schnell, sicher und mit gutem Umweltgewissen von A nach B kommen.
Bitkom-Präsident Achim Berg
Daten sollen auch ohne Gegenleistung bereitgestellt werden
Um schnell von A nach B zu kommen, würden Autofahrer auch ihre Daten teilen, so Berg. Aus den Äußerungen der befragten Bundesbürger leitet er die Formel „Daten statt Diesel und Bits and Bytes statt Benzin“ für die Mobilität der Zukunft ab. Diese Ansicht sind laut der neuen Bitkom-Studie offenbar auch die meisten Bundesbürger. Denn in der Befragung äußerten jeweils 8 von 10 der Teilnehmer die Meinung, vorhandene Mobilitätsdaten von öffentlichen Einrichtungen (79 Prozent) oder privaten Unternehmen (84 Prozent) sollten für alle nutzbar sein, damit zum Beispiel andere Unternehmen wie Startups leichter neue Mobilitätsangebote entwickeln können.
Für Bitkom-Präsident Achim Berg hat sich somit bei der Mehrheit der Deutschen die Einsicht durchgesetzt, dass Mobilitätsdaten „der Schlüssel zu einem nachhaltigen, klimafreundlichen und zugleich sicheren Verkehr der Zukunft“ sind.
Neue Studie für das Goslar Institut zum Thema „Big Data in der Mobilität“
In einer neuen, von der HUK-COBURG geförderten Studie zum Thema „Big Data in der Mobilität“ für die Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern e.V., das Goslar Institut, zeigte sich ein breites Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer, viele Mobilitätsdatenspuren zu hinterlassen. Doch die Menge und Vernetzung dieser Daten wird unterschätzt, insbesondere beim Auto, erklärten die Verfasser der neuen Studie. Insgesamt zeigt die Studie deutlich, dass bei allen an Mobilität beteiligten Gruppen überwiegend die Vorteile der Vernetzung im Verkehr wahrgenommen werden. Die Wissenschaftler zeigten aber auf, welche Möglichkeiten diese Daten eröffnen, wenn sie untereinander und mit Informationen von dritter Seite verknüpft werden. Aus diesen Daten können Services geschaffen werden, die den Verkehrsteilnehmern zum Vorteil gereichen. Das jedenfalls ist laut Studie die Sicht, die sich bei den Nutzern durchgesetzt hat.
Breite Datenspur als digitaler Fußabdruck
Allen Studienteilnehmern ist dabei bewusst, dass sie eine relativ breite Datenspur hinterlassen in Form von Standortdaten, Bewegungsdaten oder auch Kommunikationsdaten. Von der schieren Menge dieser Daten waren die Teilnehmer allerdings doch überrascht, wie die Verfasser der Untersuchung feststellten, ebenso wie von den Möglichkeiten, die sich durch die Verknüpfung dieser Informationen ergeben. Letztlich ist den Wenigsten demnach bewusst, wie breit tatsächlich die Datenspur ist, die wir alle hinterlassen.
Dabei reichen die Wahrnehmungen der befragten Studienteilnehmer von „Ich verteile Daten wie das Krümelmonster Krümel“ bis zu „Ich denke, dass ich mit dem Auto nur wenige Datenspuren hinterlasse“. Ein weiterer Tenor der Befragten ging in die Richtung „Ich hoffe, dass mein Auto diskret ist.“
„Wir alle generieren laufend sehr viele Mobilitätsdaten“, stellt Prof. Gatzert fest, nicht nur durch die Nutzung von modernen Fahrzeugen, sondern auch von Smartphones, Apps, sogenannten Sharing Services, öffentlichen Verkehrsmitteln und ebenfalls Fitness-Armbanduhren.
Als Datensammler noch weniger bekannt als das Smartphone ist das Auto. Das macht die Auswertung von Antworten der für die Studie Befragten deutlich. „Das Fahrzeug wird bislang vergleichsweise unterschätzt“, konstatiert Prof. Gatzert. Da man vergisst, was über die Kameras und Sensoren der technischen Assistenzsysteme alles an Mobilitätsdaten aufgezeichnet wird sowie zum Fahrerprofil selbst.
Geringe Transparenz und ihre Ansprüche an Mobilitätsdaten
Aber ist es tatsächlich so, dass nur die Daten zur weiteren Nutzung frei sind, von denen die Verbraucher dies wollen? Oder verteilt man vielmehr Daten auch dann, wenn man gar nicht damit rechnet? So wie das zuvor zitierte Krümelmonster? Laut Prof. Gatzert ist dies in den meisten Fällen so, weil die entsprechenden Freigaben in Smartphone, Apps und auch Autos nicht entsprechend blockiert werden.
Die Expertin bemängelt in diesem Zusammenhang, dass die Transparenz bei solchen Datenfreigaben vielfach noch deutlich zu gering ist. Das heißt, für die Nutzer solcher Geräte, insbesondere aber der Autos, ist es oft schon sehr schwierig, die Einstellmöglichkeiten zur Datennutzung überhaupt zu finden. Zudem hat sich in der Community gezeigt, dass die Beschäftigung mit den eigenen Datenspuren unangenehm ist und wenig Nutzen verspricht.
Dies führt demnach dazu, dass man unbewusst mehr Daten weitergibt als einem bewusst oder lieb ist. Auch das macht die aktuelle Studie des Goslar Instituts zu den „Big Data in der Mobilität“ deutlich. Überraschend sei für viele Studienteilnehmer nicht nur die Menge und Breite der Daten gewesen, die ein modernes Auto generieren kann, sondern ebenfalls zu erfahren, welche Möglichkeiten sich aus der Verknüpfung der reinen Mobilitätsdaten mit zusätzlichen Informationen zum persönlichen Alltag ergeben, berichtet Prof. Müller-Peters. Denn daraus lassen sich auch Rückschlüsse auf Lebensgewohnheiten, soziale Strukturen oder gar auf die Persönlichkeitsstruktur des Fahrers ziehen.
Big Data: Autohersteller hüten „ihren“ Datenschatz
Doch die Entscheidungsbefugnis der Verbraucher ist eingeschränkt, weil die Automobilhersteller den „Datenschatz“, wie Fachleute die Mobilitätsdaten der Autofahrer bezeichnen, allein für sich reklamieren. Diese Einstellung widerspreche den legitimen Ansprüchen anderer Beteiligter, wie etwa von Verkehrsunternehmen oder Wissenschaft, aber auch von Versicherungen oder Marken-unabhängigen Dienstleistungsanbietern, macht Prof. Knorre deutlich.
Deshalb plädiert sie für Lösungen, die den unterschiedlichen Ansinnen gerecht werden. In dem Zusammenhang müsse auch mehr über die gemeinsame Nutzung von Mobilitätsdaten nachgedacht werden, leitet die Professorin als Forderung aus der aktuellen Studie ab, etwa um Verkehrsträger-übergreifende Mobilitätslösungen finden zu können.
Pragmatische Diskussion nötig
Auf einen solchen Perspektivwechsel, weg von der ausschließlich rechtlichen Betrachtungsweise, zielt die neue Studie des Goslar Instituts zu „Big Data in der Mobilität“ ab. Denn eine pragmatische Diskussion über die vielen verschiedenen legitimen Ansprüche an die Mobilitätsdaten sei zielführender, postuliert Prof. Knorre.
Gemeinsam ließen sich die großen Vorteile von Big Data in der Mobilität besser nutzen, wie insbesondere ein Gewinn an Verkehrssicherheit, besserer Klimaschutz und Zuwächse bei der Wirtschaftskraft, erklärt auch Prof. Gatzert. Sie wünscht sich für die Wissenschaft ebenfalls mehr Zugang zu vernetzten Daten, um disziplinübergreifend besser forschen zu können. Bislang werde der gesellschaftliche Nutzen von Big Data für einen nachhaltigeren, klimafreundlicheren und zugleich sichereren Verkehr der Zukunft jedoch blockiert durch die divergierenden Eigeninteressen der unterschiedlichen Anspruchsgruppen, kritisiert auch Prof. Müller-Peters. Er spricht sich zur Auflösung dieses Konfliktes für mehr Flexibilität auch aufseiten des Gesetzgebers aus.
Für leichteren Zugang könnte aus Sicht der Wissenschaftler ebenfalls eine „Incentivierung“ der Mobilitätsdaten beitragen, die den Verbrauchern zu der Möglichkeit verhilft, für die Weitergabe ihrer Daten einen direkten Vorteil zu erhalten. Denn auch bei den Verbrauchern bestehe grundsätzlich der Wunsch, Mobilitätsdaten zu teilen, unter der Voraussetzung eigener Entscheidungsfreiheit über die Verwendung dieser Informationen, zitierte Prof. Gatzert aus der neuen Studie.
Mobilitätsdaten der Autofahrer sind begehrt
Dieser „Datenschatz“, wie Fachleute die Mobilitätsdaten etwa der Autofahrer bezeichnen, ist begehrt. Denn die Informationen, die von modernen Fahrzeugen in immer größeren Mengen gespeichert werden, sind für die Geschäftsmodelle rund um die Mobilität der Zukunft von unschätzbarem Wert. Bisher gibt es allerdings noch keinen Rechtsrahmen für die unzähligen Daten, die in einem Fahrzeug entstehen und die sich mit dem Fahrzeughalter verknüpfen lassen.
Die Autohersteller haben hierzu zwar einen Vorschlag ausgearbeitet, der sie zum Treuhänder für die in den Fahrzeugen registrierten Mobilitätsdaten machen würde. Das Konzept soll der EU-Kommission in Kürze übermittelt werden. Es besteht jedoch Nachbesserungsbedarf an den Plänen der Autobranche, da diese nicht den Anforderungen der anderen Dateninteressenten hinsichtlich Neutralität und Diskriminierungsfreiheit genügen. Seitens der Europäischen Kommission ist somit weitere Regulierung erforderlich.
Zähflüssiger Verkehr in Nürnberger Innenstad. Foto: ADAC Nordbayern
Foto/Grafik: Goslar Institut