Digitalisierung? Ein Armutszeugnis

Digitalisierung? Ein Armutszeugnis

28. August 2020 0 Von Dr. Frauke Hewer

Deutschland, das Land der Dichter und Denker. Mit dem dritten D haben wir es nicht so: Digitalisierung fällt hierzulande offenbar immer noch unter das schon fast legendäre Neuland, mit dem Kanzlerin Merkel einst das Internet bezeichnete. Kommentar von Dr. Frauke Hewer

Dr. Frauke Hewer, aftermarket-trends.de

Nicht nur die Corona-Krise offenbart, was schon vorher ein Problem war: die Digitalisierung in Deutschland hängt weit hinterher. Derzeit wird das nicht nur an mauen Mobilfunk-Verbindungen auf dem Land sichtbar. Ein anderes Problem schadet derzeit vor allem Autohändlern: nicht digitalisierte Zulassungsstellen sorgen dafür, dass Autos nicht zugelassen werden können. Weil in den Ämtern Corona-Notbetrieb herrscht.

Digitalisierung? Ein Fremdwort

Jetzt haben der Verband der Automobilindustrie (VDA) und der Verband der Internationalen Kfz-Hersteller VDIK gemeinsam mit dem Kfz-Gewerbe-Verband ZDK gefordert, dass Fahrzeuge endlich auch digital zugelassen werden können. „Was? Das geht bei euch nicht?“, wird vielleicht manch ausländischer Beobachter erstaunt feststellen. Nein, es geht nicht. Manchmal gewinnt man den Eindruck, Digitalisierung sei hier etwas gänzlich Unbekanntes.

Dabei gibt es längt das internetbasierte „i-Kfz“-Verfahren, das es Privatkunden ermöglichen würde, Erstzulassungen oder Umschreibungen ohne Vorort-Termine bei einer Behörde und damit effizienter vorzunehmen. Die rechtlichen Voraussetzungen für Online-Zulassungen sind durch die Bundesregierung im Oktober 2019 geschaffen worden, dennoch sind sie in vielen Zulassungsstellen bis heute nicht nutzbar.

Tausende Autos bleiben stehen

„Als Folge der coronabedingten Einschränkungen in den Autohäusern und Zulassungsstellen stehen bei den Händlern derzeit Tausende Neu- und Gebrauchtwagen und können nicht an die Kunden übergeben werden. Die Folge sind große wirtschaftliche Schäden für den Kfz-Handel und die Automobilindustrie und verärgerte Kunden.“

VDA-Präsidentin Hildegard Müller.

Auf den Ämtern schiebt man weiterhin eine ruhige Kugel und arbeitet so, wie man es seit Jahren gewöhnt ist. Und das, obwohl der Bund den Ländern bereits Hilfestellung gegeben hat, darunter die Möglichkeit, vereinfachte Verfahren anzuwenden. Ganz nebenbei könnten mit einem solchen Verfahren sämtliche Corona-Bestimmungen mehr als gut eingehalten werden. Denn der Mensch, der das Auto zulassen möchte, müsste ja noch nicht einmal sein eigenes Haus verlassen.

Online-Zulassungsstelle: ein schöner Traum

In der Praxis sind die entsprechenden Online-Portale der Zulassungsstellen in vielen Fällen noch nicht vorhanden oder für Kunden nicht auffindbar, sie arbeiten fehlerhaft oder ein vollständiger Zulassungsprozess ist nicht möglich. Das beklagen die drei Verbände ZDK, VDA und VDIK. Aufgrund von Personalknappheit würden bei Zulassungsstellen zum Teil Wartezeiten von sechs Wochen und länger gemeldet, vor allem in großen Städten wie Berlin, Köln, Frankfurt oder Stuttgart, haben die Verbände vermeldet. Dass so etwas in einer führenden Wirschaftsnation möglich ist, ist eigentlich nicht nachvollziehbar.

„In dieser ohnehin extrem schwierigen wirtschaftlichen Lage darf die Situation bei den Behörden nicht zusätzlich zum konjunkturhemmenden Faktor werden. Länder und Kommunen müssen jetzt dafür sorgen, dass die Zulassungsstellen bundesweit so schnell wie möglich wieder effizient arbeiten können. Denn lange Wartezeiten bremsen die Kaufbereitschaft und verhindern damit, dass sich die Automobilbranche schnell und nachhaltig erholen kann.“

VDIK-Präsident Reinhard Zirpel

Digital ab- oder ummelden geht nicht

Und der ZDK-Präsident Jürgen Karpinski stößt ins selbe Horn: „Es ist nicht nachvollziehbar, dass Zulassungsbehörden in dieser Situation und im Zeitalter der Digitalisierung nicht in der Lage sind, digitale An- und Ummeldeverfahren rasch umzusetzen“, so Karpinski.

Kunden warten mehrere Wochen, bis sie ein gekauftes Fahrzeug nutzen können. Behörden verstehen sich offenbar nicht als Dienstleister der Bürger, heißt es im ZDK. Das bereits vorhandene „i-Kfz“-Verfahren liegt offenbar auf Eis. Das legt nicht nur die Bürger ohne Auto lahm. Es bindet auch Kapital bei Händlern, die derzeit ohnehin nicht viel zu lachen haben.

Aber dieses i-Dingens, das ist eben Neuland. Wie das Internet…

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