Streik und kein Ende?
21. März 2024Digitale Resilienz schafft in Zeiten gefährdeter Lieferketten neue Chancen
Das Streik-Recht ist für Mitarbeitende im Bahnsektor ein wichtiges Grundrecht, da es ihnen ermöglicht, für bessere Arbeitsbedingungen und eine faire Entlohnung einzutreten. Für die Lieferketten in Industrie und Handel bedeutet es jedoch Stress pur. Durch umfassende Digitalisierungsmaßnahmen können Unternehmen ihre Wertschöpfungskette zumindest schützen und sich gleichzeitig eine solide Basis für zukunftsfähiges Wirtschaften aufbauen. Gastkommentar von Gabriel Werner
Das Bahnpersonal streikt. Seit Monaten immer wieder. Nach dem Scheitern der Tarifgespräche zwischen Lokführergewerkschaft (GDL) und Deutscher Bahn legt der Streik den Schienenverkehr immer wieder lahm und macht deutlich, wie wichtig intakte Lieferketten für das Funktionieren unserer Wirtschaft sind. Neben Millionen an Zugreisenden trifft es vor allem die Industrie. Insbesondere Branchen, die regelmäßig große Warenmengen transportieren, sind vom Wegfall des Schienengüterverkehrs betroffen. Darunter die Stahlindustrie, die chemische Industrie und die Automobilindustrie. Die fünf deutschen Hochöfen beispielsweise benötigen täglich bis zu vier Güterzüge mit Erz und Kohle, und ein Hochofen, der nicht mehr beheizt wird, kann durch das Erkalten von geschmolzenem Material schnell Probleme machen und zu Blockaden und Beschädigungen der gesamten Anlage führen.
Streik: Teure Konsequenzen für die Wirtschaft
Doch nicht nur streikende Gewerkschaften, auch Seuchen wie COVID-19, fehlende Halbleiter durch Chipmangel, die Blockade des Suezkanals, anhaltende Kriege in der Ukraine und Israel oder Naturkatastrophen sorgen dafür, dass gestörte, unterbrochene Lieferketten mittlerweile fast schon Teil unseres Alltags sind. All diese Ursachen schränken Logistikkapazitäten ein, schließen Grenzen oder unterbrechen die Produktion bei Zulieferern. Viele Waren bleiben liegen und dringend benötigte Vorprodukte können nicht termingerecht geliefert werden. Für die Wirtschaft hat das teure Konsequenzen. Laut einer Studie von Accenture verursachten allein die Lieferkettenstörungen im Zusammenhang mit COVID-19 für die Volkswirtschaften der Eurozone im Jahr 2021 rund 112,7 Milliarden Euro an verlorenem Bruttoinlandsprodukt. Aufgrund des anhaltenden Krieges in der Ukraine lagen 2022 die Kosten für die Eurozone bei circa 318 Milliarden Euro. Und ein eintägiger bundesweiter Bahnstreik kostet dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge rund 100 Millionen Euro pro Tag an Wirtschaftsleistung. Das summiert sich schnell zu einem Milliardenschaden.
Lieferketten mit digitalen Technologien stärken
Doch Unternehmen sollten nicht tatenlos zusehen. Statt sich von gestörten Lieferketten in ihrer Wirtschaftsleistung beeinträchtigen zu lassen, müssen sie endlich anfangen, die Resilienz ihrer Supply Chain zu stärken. Digitale Lösungen, die dafür in Frage kommen, sind auf dem Markt verfügbar. Bei einer Umfrage für das 18. Hermes-Barometer unter 150 Logistikentscheider*innen gaben mehr als drei Viertel der Befragten (78 Prozent) an, dass ihrer Meinung nach digitale Technologien als Mittel zur Steigerung der Lieferketten-Resilienz und zur Bewältigung künftiger Krisen eine zentrale Rolle spielen.
Der Aufbau einer digitalen Daten- und Informationsarchitektur unterstützt nicht nur reibungslose und effiziente Prozesse entlang der Supply Chain. Die transparente Sicht auf alle wichtigen Daten in Echtzeit bildet zudem die Basis für fundierte Entscheidungen. Sie versetzt Unternehmen in die Lage, Störungen rechtzeitig zu erkennen und automatisiert zu bewältigen, was wiederum die Widerstandsfähigkeit ihrer Lieferkette stärkt.
Interoperabilität nutzen
Cloud-native, interoperable Lösungen eignen sich in der Regel am besten, um Prozesse entlang der Wertschöpfungskette vollständig zu erfassen und system- und abteilungsübergreifend zu optimieren. Statt Informationen auf verschiedene Lösungen zu verteilen oder aus unterschiedlichen Quellen mit Daten zu versorgen, bündeln sie sämtliche Beschaffungs-, Produktions-, Logistik- und Netzwerkstrategien in einem einzigen Betriebssystem und können so Prozesse, Systeme und Daten nahtlos miteinander verbinden. Alle für die Lieferkette erforderlichen Daten werden an einem zentralen Repository zusammengeführt, auf das sämtliche Anwender gemeinsam zugreifen.
Nutzer können sich so sicher sein, dass sie mit aktuellen Daten arbeiten und diese am richtigen Ort zur richtigen Zeit bereitstellen. Die nahtlose, autonome Zusammenarbeit über das gesamte Ausführungsnetzwerk hinweg stärkt nicht nur Transparenz und Resilienz der Lieferketten, sie führt auch zu einer höheren Effizienz der Prozesse. Durch Beobachtung und Entscheidungsfindung in Echtzeit, gepaart mit einer KI-gestützten prädiktiven Analytik, können Unternehmen Störungen leichter vorhersehen und automatisiert oft bereits im Vorfeld bewältigen.
Aufträge nahtlos umverteilen
Im Falle des Bahnstreiks erleichtern digitale Lösungen es Unternehmen, beispielsweise ihre Transporte kurzfristig von der Schiene auf die Straße zu verlagern oder auf private Bahnunternehmen oder ganz andere Transportwege umzusteigen, die nicht vom Streik betroffen sind. Nicht zuletzt wegen der fortlaufenden Datensynchronisation können Verantwortliche die Aufträge entlang der gesamten Lieferkette nahtlos umverteilen oder den optimalen Weg zur Erfüllung eines Auftrags bestimmen, auch wenn dieser von mehreren Knotenpunkten stammt.
Die Digitalisierung wird unsere Lieferketten nicht vollständig vor Störungen schützen können. Aber indem wir digitale Resilienz erzeugen, kann sie dazu beitragen, Störungen effektiver zu bewältigen und drohenden Schaden gering zu halten. Unternehmen sind so besser für Krisen gewappnet und sichern sich ihre Wettbewerbsfähigkeit. Digitale Resilienz schafft Möglichkeiten auch dort, wo scheinbar keine sind.
Unser Gastkommentator Gabriel Werner, Field CTO, Blue Yonder
Gabriel Werner ist Experte für Supply Chain Management, Automatisierung und künstliche Intelligenz in der Lieferkette. Mit seinem Team deckt er die gesamte Wertschöpfungskette im Supply Chain Management ab, von der Planung bis zur Steuerung. Gabriel Werner hilft Kunden aus der industriellen Fertigung und Logistik bei der Digitalisierung ihrer Lieferketten. Vor seiner jetzigen Tätigkeit war er als Vice President Manufacturing für die DACH-Region und Vice President of Solutions Advisory für Blue Yonder in der EMEA-Region tätig. Er kam im April 2011 als Senior Solutions Advisor zu Blue Yonder und unterstützte Unternehmen bei der Verbesserung ihrer Lieferkettenleistung durch den Einsatz von Technologie. Er durchlief verschiedene Rollen und wurde 2018 zum Vice President befördert.