Killerargumente stoppen die Klimaerwärmung nicht
4. April 2023Die Technik ist beliebt: Der Interviewer auf der Straße hält so lange jedem Passanten das Mikrofon vors Gesicht, bis er endlich die Meinungen im Kasten hat, die er hören wollte. Beim Fernsehen läuft das professioneller: Da kennt man seine Experten. So liefert bei kritischen Themen zum Beispiel Professor Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des privatwirtschaftlichen CAR-Center Automotive Research in Duisburg, sekundengenau das erwartete Statement ab. Bei Umweltthemen bekommt die Klimaökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und Professorin in Lüneburg gern den Bildschirm. Kommentar von Peter Schwerdtmann
So vertrauten Gesichtern kann jeder vertrauen. Doch wenn Claudia Kemfert den Kollegen von „t-online“ sagt: „E-Fuels sind nichts als Wahlkampf-Klimbim“, dann überrascht nicht nur die lockere Sprache. Wenn sie dann noch hinzufügt, dass sie den Betrieb von Verbrennern mit e-Fuels nicht nur für nicht sinnvoll halte, sondern auch für nicht umsetzbar, dann schluckt der Fachmann.
Und wenn sie dann auch noch nachkartet, mit den bisher geplanten Projekten bis 2035 könne der deutsche e-Fuel-Bedarf nur zu maximal zehn Prozent gedeckt werden, dann unterdrückt der Experte zunächst seinen Widerwort-Impuls, weil Kemfert auf einmal überraschenderweise ausführt, e-Fuels brauche man für die Bereiche, wo es keine hauptsächlich elektrische Alternative gebe – im Flug- und Schiffsverkehr sowie teilweise im Schwerlastverkehr.
Diese Aussage fordert doch den generellen Widerspruch, weil sie mit jedem Wort den heutigen Stand der Mainstream-Argumentation wiedergibt, gipfelnd in der Aussage, beim normalen Autoverkehr seien E-Autos die preiswertere und effizientere Alternative.
Kümmern wir uns erst einmal nicht um den Widerspruch, dass e-Fuels nur für ein Zehntel des in Deutschland eingesetzten fossilen Kraftstoffs reicht. Wie passt das zu der Aussage, dass wir die e-Fuels für den weltweiten Flug- und Schiffsverkehr brauchen und auch für Schwerlastverkehr. Gilt also: Alles für die Wirtschaft und nur Almosen für den Bürger? Wäre die Elektromobilität etwa nur das Trostplaster für die Fahrer privater Pkw, damit von dem angeblich so uneffizienten und teuren klimaneutralen synthetischen Kraftstoff genug als preiswerte und grüne Alternative für die Wirtschaft zur Verfügung steht?
Verschwörungstheoretiker könnten leicht auf die Idee verfallen, Europa habe deswegen so lange auf den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft verzichtet, um die Elektromobilität als einzigen Ausweg aufrecht erhalten zu können. Nein, einen so umfangreichen strategischen Ansatz traut niemand der bunten Schar der Europäer zu.
Außerdem wird niemand die Elektromobilität jetzt noch verdammen wollen. Allen Schwächen bei Preis, Reichweite und Versorgungsinfrastruktur zum Trotz erweist sie sich in vielen Anwendungen auch für den Privatmann als komfortabel und kostengünstig. Sie wird also bleiben und sich ihre Räume erobern.
Aber allen Überzeugungsversuchen, Predigten, Lockangeboten und Drohungen zum Trotz ist sie bis heute nur in den Medien ein Renner. Lediglich 1,5 Prozent der 42 Millionen Privat-Pkw in Deutschland sind heute batterieelektrisch. Und trotz des Jubels um die beispiellosen Zuwachsraten bei den Neuzulassungen scheint das von der Politik ausgegebene Ziel von 15 Millionen vollelektrischer Pkw kaum erreichbar. Heute ist jedes 70. Privatauto im Bestand ein solches Elektrofahrzeug. In sieben Jahren soll das jedes dritte Auto sein?
Wenn der Beschluss des Europäischen Rates und der EU-Kommission trotz der Zweifel von Kemfert und anderen Verfechtern der E-Monokultur nun heißt, das ab 2035 nicht nur emissionsfreie Fahrzeuge neu zugelassen werden dürfen, sondern auch solche mit klimaneutralen Kraftstoffen, dann gilt es aber, gute Wege für den Übergang zu finden. Diese Chance sollte nicht auch noch ungenutzt vorbeigehen.
Die schlechteste Lösung wäre es, die Öko-Verbrenner an spezielle Tanksäulen zu schicken und dafür mit speziellen Tankstutzen oder Sensoren so auszurüsten, dasst nur e-Fuels in den Tank fließen können. Das würde aber den Effekt auf die Klimaerwärmung vertagen bis auf das Erscheinen der passenden neuen Autos und setzt für die Übergangszeit eine weitere Zapfsäule an den Tankstellen voraus.
Doch es ginge auch so: Die e-Fuels haben eine Eigenschaft, die es gestattet, ihre Vorteile sofort auszunutzen und uns dabei der Mechanismen des Handels mit Verschmutzungsrechten zu bedienen. Immerhin bedeutet – wie bei E5 und E10 – jedes Prozent Beimengung von e-Fuels zu den fossilen Kraftstoffen eine Verbesserung der Kohlendioxid-Emissionen des gesamten Verkehrs und eine Verbesserung der Lage bei den Treibhausgasen.
Die Mineralölgesellschaften zahlen jedes Jahr viel Geld für ihre Treibhausgasquote (THG-Quote). Wenn sich die Beimengung von e-Fuels nicht nur günstig auf die Emissionen, sondern auch mäßigend auf die CO2-Strafen der Konzerne auswirkten, dann könnte das Aufkommen synthetischer Kraftstoffe so beschleunigen, das Frau Kemfert aus dem Staunen nicht mehr herauskommt.
Am Ende des Tages müssten wir nicht über die Technologien sprechen, mit denen wir das Maß an e-Fuels in dem Tank einzelner Pkw feststellen. Am Ende einer solchen Entwicklung – vielleicht 2035 – hätten wir dieselbe Tankstelle vor der Tür, dieselben gewohnten und erschwinglicheren Autos mit Verbrennermotoren und alle führen mit klimaneutralem Kraftstoff, bis auf die, die ihr Elektroauto lieben.
So wird es vermutlich ein leichtes Spiel sei, Autofahrer als Verbündete zu gewinnen. Die Umfragen zeigen heute alle ein fast deckungsgleiches Bild: Drei von vier Autofahrern lehnen das Verbot des Verbrenners ab. Und die Zahl der Menschen, die das Elektroauto ablehnen, wird nicht kleiner, sondern größer. Dabei hatten uns doch die Politiker versichert, die Verkehrswende werde nur gelingen, wenn der Bürger sie mittrage. Mit der Einsicht, dass nicht der Verbrennungsmotor das Klima gefährdet, sondern fossile Brennstoffe, die nun ersetzt werden, müssten doch alle Seiten an der Zukunft arbeiten können.
Eine zweite Einsicht sollte ebenfalls den klaren Blick fördern. Die Rede ist von den welteit 1,5 Milliarden Verbrennern, die das Klima noch auf Jahrzehnte belasten werden, weil die Elektrifizierung des Verkehrs große Regionen der Welt selbst beim besten Willen aller Beteiligten und mit aller Nachhilfe nicht erreichen wird. Jenseits des europäischen Tellerrands sehen die Dinge eben anders aus. Schon bei uns fällt der Blick ja unterschiedlich aufs Thema, je nach dem Wohnort, ob Stadt oder Land.
Aus heutiger Sicht wären beim schleichenden Ersatz der fossilen Kraftstoffe durch klimaneutrale zwei Gruppen „gelackmeiert“: Die Elektroauto-Besitzer, die ihre Verschmutzungsrechte nicht mehr Jahr für Jahr an die Mineralölindustrie verkaufen könnten und die Betreiber von klassischen Tankstellen, die zu früh aufgegeben haben.
In der kleinteiligen und oft mit eingeengtem Blick geführten Diskussion dieser Tage möchte so mancher der echten den gemachten Experten nicht nur bei dem Themen Verkehrswende und Klimawandel zurufen: Think big! Die Welt kann’s gebrauchen.