Motorenentwickler Friedrich Indra: „Der Verbrenner wird noch sehr lange leben“
30. April 2020Interview von Jens Meiners Professor Friedrich Indra ist die Graue Eminenz der Motorenentwicklung. Er hält den Verbrennungsmotor noch lange nicht für tot. Außerdem glaubt er, dass Milliarden an Strafzahlungen die Automobilhersteller kaputt machen werden. Ein Gespräch über alte und neue Technologien.
Professor Indra, Sie sind gerade 80 Jahre alt geworden und schauen auf sechs Jahrzehnte Entwicklungsarbeit am Automobil zurück. Was ist für Sie die wichtigste Lektion?
Friedrich Indra: Am eindrucksvollsten ist für mich, wie der Verbrennungsmotor nunmehr über 100 Jahre hinweg allen Anfeindungen getrotzt hat und sich immer wieder an die Spitze der Entwicklung setzen konnte. Es gab ja schon ganz am Anfang der Automobilgeschichte den Elektromotor, dessen Wirkungsgrad deutlich besser ist. Aber wenn man den Energietransport, die Batterien und alle dazugehörigen Faktoren mitberechnet, dann verliert er alle Vorteile.
Verbrenner erfüllt den Wunsch nach Fortbewegung
Deshalb ist er auch verschwunden, sobald man den Verbrenner elektrisch anstarten konnte. Ich glaube, der Verbrenner wird noch sehr lange leben, weil er dem Wunsch des Menschen nach der völlig freien, unabhängigen Fortbewegung am besten entgegenkommt. Ein Auto mit Verbrenner kann sich jeder leisten, sie sind alle sehr sparsam und sauber geworden und deshalb sind bislang noch alle Aktionen, ihn vom Thron zu stoßen, im Sande verlaufen.
Letztlich handelt es sich auch beim Verbrenner mit E-Starter um eine über 100 Jahre alte Technologie. Da soll es nichts besseres geben?
Friedrich Indra: Gegenfrage: Glauben Sie, dass es etwas Besseres gibt als ein Rad? Es wurde vor tausenden Jahren erfunden, aber trotz aller Versuche gibt es nach wie vor keine vernünftige Alternative. Vielleicht ein Luftkissenfahrzeug?
Wankelmotor ist auch keine Lösung
Der Wankelmotor, natürlich auch ein Verbrenner, hätte dem Hubkolbenmotor vor 50 Jahren beinahe das Wasser abgegraben.
Friedrich Indra: Das war ein großer Irrweg. Der Wankelmotor hätte aufgrund seiner Brennraumform in der Breite nicht funktioniert. Einen effizienten Motor muss man hochverdichten können, er braucht eine genau definierte, kompakte Brennkammer, um den besten Wirkungsgrad aus dem Treibstoff herauskitzeln zu können. Im Wankelmotor schiebt sich diese Brennkammer immer weiter, man muss ständig neue Oberflächen erhitzen, und er funktioniert als Diesel überhaupt nicht.
Nichtsdestotrotz war beispielsweise Mercedes-Benz unter dem Entwickler Wolf-Dieter Bensinger völlig auf den Wankelmotor fixiert.
Friedrich Indra: Ich habe diese Phase damals als Hochschulstudent erlebt, ich durfte den Keilriemen für einen dieser Motoren konstruieren. Bensinger war damals fest davon überzeugt, dass sich der Wankelmotor durchsetzt und hat den Hubkolbenmotor deshalb überhaupt nicht mehr weiterentwickelt. Damit hat sich eine gewaltige Lücke aufgetan zu BMW, die viele Jahre lang nicht mehr geschlossen werden konnte. Denn BMW hat vom Wankel nichts gehalten und den Hubkolbenmotor fleißig weiterentwickelt.
Der Zweitakter scheitert am Wirkungsgrad
Gab es nicht vielversprechende Ansätze mit dem Zweitakter?
Friedrich Indra: Vor allem die US-Hersteller haben sich das angesehen, zuletzt den Orbital-Motor des Australiers Ralph Sarich. Der Zweitakter scheitert vor allem am Wirkungsgrad. Er ist nur deshalb im Rennsport gut weggekommen, weil er gegenüber dem Viertakter falsch eingestuft wurde, wie übrigens auch der Wankel. Die Variabilität, die man heute unbedingt braucht, kann man am besten mit vier Ventilen erreichen, die man variabel steuern kann, zum Beispiel indem man die Nockenwellen verdreht. Mit verschiedenen Hüben kann man ihn sehr sparsam und sehr emissionsgünstig konstruieren. Diese Variabilität fehlt dem Zweitakter.
Hätte die Gasturbine eine Alternative sein können?
Friedrich Indra: Die Gasturbine hat mit ihrer freien Verbrennung eigentlich ein gutes Abgasverhalten mit wenig Kohlenwasserstoff-Emissionen. Aber das Ansprechverhalten ist so katastrophal schlecht, dass sie sich nicht durchsetzen konnte. In einem Flugzeug macht eine Verzögerung von mehreren Sekunden nichts aus, aber eine Maschine im Auto muss eigentlich sofort reagieren.
Benziner? Oder doch der Diesel?
Wird beim Hubkolbenmotor aus Ihrer Sicht der Benziner oder der Diesel das Rennen machen?
Friedrich Indra: Generell ist es ein großer Vorteil der Verbrennungsmotoren, dass sie mit den verschiedensten Kraftstoffen, egal ob gasförmig oder flüssig, betrieben werden können. Auf Ihre Frage bezogen: Es hängt vom Hubraum ab. Bei Schiffen und Lastwagen haben wir es mit Dieselmotoren zu tun, alles Vierventiler aus hochfestem Grauguss, in dieser Klasse würde es der Benziner ganz schwer haben. Aber im Pkw, bei Hubräumen bis zu zwei oder drei Litern, kann der Benziner den Diesel einholen – mit hohen Verdichtungen von bis zu 1:16, Raumzündung und reduzierter Reibung.
Wir reden von thermischen Wirkungsgraden von 50 Prozent, und dem kann man ja auch schon entnehmen, dass der Hubkolbenmotor noch längst nicht am Ende seiner Entwicklung angekommen ist. Es kommt noch etwas weiteres hinzu: Bei den kleinen Autos spielen die Kosten des Motors eine große Rolle, und der Diesel ist teurer. Außerdem kann man ein Auto anders konzipieren, wenn man auf den Diesel verzichtet, man kann Schalldämmung einsparen und die Fahrzeugstruktur vereinfachen. Bei den größeren Motoren, vor allem im SUV, bleibt natürlich der Dieselmotor dominant gegenüber dem Benziner.
Warum die SUV kritisieren?
SUV, ein schönes Stichwort. Können Sie die Kritik an diesen Fahrzeugkonzepten nachvollziehen?
Friedrich Indra: Die Autogegner tun gerade so, als ob die Autoindustrie den SUV in böser Absicht erfunden hätte, aber die Industrie baut natürlich nur das, was die Kunden verlangen. In meinen letzten Jahren bei GM in den USA bin ich auch SUV gefahren, und zwar als die Europäer sich noch über diese Vorliebe der Amerikaner amüsiert haben. Es ist einfach ein angenehmeres Fahren: Mit der klassischen Motorhaube fühlt man sich sehr sicher, mit den relativ steilen A-Säulen und der erhöhten Sitzposition sieht man sehr gut heraus. Und das erklärt auch den Erfolg der SUV schon in den relativ kleinen Fahrzeugklassen.
Wenn wir über kleine Autos nachdenken: Müsste man nicht gerade Stadtautos neu denken, vielleicht als 500- oder 600-Kilo-Autos, ob nun mit Elektromotor oder sparsamen Verbrennern?
Friedrich Indra: Im Prinzip schon, aber Sie müssen bedenken, dass so etwas nur ein Drittauto sein kann, nicht einmal ein Zweitwagen, also ein Instrument für die reichen Leute, die ohnehin schon einen Tesla fahren. Otto Normalverbraucher kann sich nicht mehr als ein Auto leisten, für Stadt, Urlaub, mit Surfbrett oder Anhänger, ob er allein unterwegs ist oder zu fünft. Und er will es dann auch noch verkaufen können. Und für diese Menschen würde so ein Stadtauto nie funktionieren.
Wäre Wasserstoff die Lösung?
Kann das Wasserstoffauto Erfolg haben?
Friedrich Indra: Das Wasserstoffauto ist für den Kunden eine viel bessere Lösung als das batterieelektrische Auto, ich bin insgesamt aber dennoch skeptisch. Es scheitert vermutlich an der Infrastruktur, und der Gesamtwirkungsgrad ist alles andere als vorteilhaft. Schließlich geht es bei dem ganzen Thema ja angeblich um die Umwelt.
Wie erklären Sie sich eigentlich die seit langem so unversöhnliche Kritik am Verbrennungsmotor?
Friedrich Indra: Ich glaube, dieser Hass kommt aus einer Zeit, als aus dem Auspuff richtig Dreck herauskam, als die Autos auch noch sehr laut waren. Man vergisst heute oft, wie schmutzig die Autos früher waren, inklusive der Ölfahnen aus den Zweitaktern. Aber die Hauptkritikpunkte sind ja alle beseitigt, heute sind die Motoren viel sauberer und sparsamer, und das in viel sichereren und komfortableren Autos. Die Politik glaubt trotzdem seit Jahrzehnten, dass es mit dem Verbrenner zu Ende geht. Als ich 1992 Chef der Vorausentwicklung bei Opel war, bin ich mit dem Innenminister Kanther im Rahmen eines Elektro-Großversuchs auf Rügen herumgefahren und er hat mir damals prophezeit: Ich wette mit Ihnen, im Jahr 2000 sind zehn Prozent aller Autos elektrisch.
Die jetzige Regierung wiederum hat 2010 die Parole ausgegeben: 2020 haben wir eine Million Elektroautos. Davon sind wir natürlich weit entfernt, obwohl unpassenderweise jetzt auch die Plug-in-Hybride mitgezählt werden. Trotzdem hat die Politik den Dieselskandal ausgenutzt und sich auf den Standpunkt gestellt: Jetzt glauben wir der Industrie gar nichts mehr und jetzt sagen wir Euch mal, wo es langgeht, nämlich elektrisch. Die Industrie hat mehrfach versucht, der Politik diesen Fehler auszureden, aber es hat nichts genutzt, weil die Politik nur auf das Auto geschaut und keine gesamtheitliche Bewertung vollzogen hat.
„Die Industrie steuert auf eine Katastrophe zu“
Was wird nun passieren?
Friedrich Indra: Die Industrie steuert auf eine Katastrophe zu, weil der Kunde keine Elektroautos kaufen will. Er ist völlig verunsichert und wird das naheliegendste tun, nämlich sein jetziges Auto weiterfahren. Und das hält, jedenfalls wenn es sich um einen klassischen Verbrenner handelt, ja auch locker 10, 20, 30 oder 40 Jahre und mehr. Der Neuanschaffungszyklus von üblicherweise sieben bis acht Jahren wird also wie damals in der ersten Energiekrise unterbrochen, weil die Kunden ihre alten Autos behalten, und wir werden in eine gewaltige Wirtschaftskrise rutschen. Das eingesetzte Kapital kann bei einem klassischen Auto eben viel länger genutzt werden als bei einem Elektroauto, dessen Batterie nach rund acht Jahren schlappmacht und aus Kostengründen auch nicht mehr erneuert wird.
Ersatzakkus? Unbezahlbar!
Sie glauben nicht, dass man Ersatzakkus bekommt?
Friedrich Indra: Bei einem E-Auto kostet eine Batterie den halben Neupreis! So teure Ersatzteile legt sich kein Händler auf Lager und sicher auch nicht die Herstellerfirma. Der Erstkunde wird, nachdem die erste Batterie verbraucht ist, wenn sie also 20 bis 30 Prozent ihrer Kapazität verloren hat, nicht mehr den halben Neupreis in ein altes Auto investieren. Verkaufen kann er es sicher auch nicht mehr. Ideal für eine Lagerung wäre etwa eine Temperatur von 23 Grad und ein geringer Ladezustand. Jede Abweichung davon reduziert die Kapazität. Bei 45 Grad und mittlerem Ladezustand hat die Batterie bereits nach zwei Jahren 15 Prozent ihrer Kapazität verloren. Bei noch höheren Lagertemperaturen kann eine neue Batterie bereits nach einem Jahr unbrauchbar geworden sein ohne, dass sie auch nur einmal benutzt wurde. Das Ganze gilt natürlich auch für E-Autos, die auf Halde stehen. Wie jetzt der VW ID3.
Wie kann die Industrie mit dieser Lage umgehen?
Friedrich Indra: Während die Neuanschaffungen ausfallen, erst recht in der aktuellen Krise, wollen die Behörden von den Autobauern auch noch Milliarden an Strafzahlungen haben. So geht diese Industrie kaputt. Die einzige für mich mögliche Lösung ist: Diese Strafzahlungen werden verschoben. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass die Politik ihren Selbstbetrug mittlerweile erkannt hat und jetzt nach möglichst gesichtswahrenden Auswegen sucht.
Elektromobilität kein Beitrag zum Klimaschutz
Manche Politiker fordern jetzt Batterien, die leicht und billig sind und so lange halten wie ein klassisches Automobil, was natürlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Andere sagen, das eigentliche Problem sei das Erdöl, was wiederum das Tor für synthetische Kraftstoffe öffnet. Aber die wichtigste Komponente wird sein, die Förderungen für die E-Mobilität abzuschaffen. Warum soll die Politik auch eine Technologie fördern, die keinen Beitrag zum Klimaschutz leistet?
Gerade jetzt, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, zeigen sich für fast alle Kunden die nicht verzichtbaren Vorteile, die Fortbewegungsmittel mit Verbrennungsmotoren haben. Und das unter allen klimatischen Bedingungen, rund um den Globus, zu Lande, zu Wasser und auch in der Luft. Zusammen mit weiteren Verbesserungen und den neuen klimaneutralen Kraftstoffen wird das auch noch sehr lange so bleiben. In China und den USA laufen die Förderungen für die E-Mobilität jetzt aus, und dort sind die Verkaufszahlen bereits im Sinkflug. Und das Schicksal von VW entscheidet sich weiterhin am Golf, nicht am ID3.
Über Prof. Friedrich Indra
Österreich hat die deutsche Automobiltechnik immer wieder mit sehr guten Ingenieuren belebt. Einer davon ist Prof. Friedrich Indra, ein Nestor der Motortechnik, 1969 an der Technischen Universität Wien promoviert, von 1971 bis 1979 bei BMW-Alpina als Entwicklungsleiter und von 1979 bis 1985 Leiter der Motorenkonstruktion bei Audi; von 1985 bis 1998 bei Opel Leiter der Motoren-Entwicklung und Direktor in der Vorausentwicklung; von1997 bis Ende März 2005 Executive Director der Vorausentwicklung bei General Motors Powertrain in Detroit sowie Mitglied im Aufsichtsrat des Pan Asian Automotiv Center in Shanghai und der Metal Casting Technology in Milford. Seit 1985 unterrichtet er an der TU Wien als Lehrbeauftragter, 1991 wurde er zum Honorarprofessor für Verbrennungskraftmaschinen ernannt. (ampnet/jm)
Lieber Herr Professor Indra,
zunächst: Gratuliere zu Ihrer hochqualifizierten Meinung und den sehr unpolitischen Aussagen. Der Verbrennungsmotor ist sicher nicht tot! Nur die Frage: Wann kommt die Politik auch auf diesen Trichter? Ich erwarte hierzu Ihrerseits keine Antwort…
Allerdings sind Sie meiner Meinung nach nicht tief genug auf den Wasserstoffmotor eingegangen. Ich habe im Zusammenhang mit der Herstellung eines Imagefilms für die Firma Messer-Griesheim (ehemalig im Hoechst-Konzern) als Gasehersteller und damit auch Wasserstoff einen umgebauten BMW 525 in Stuttgart gefahren, der vom Faunhofer-Institut entwickelt wurde. Bei den Filmaufnahmen roch es in der Werkstatt nach Waschküche, es brauchte keine Abgaskontrolle. Und das AUto fuhr sich super. Ich sehe im Wasserstoff die beste Antwort zum Elektro-Hype.
Mit herzleichen Grüßen nach Österreich an einen fast gleichaltrigen Vetreranen,
Ihr Gert Horstmeyer
MOTORcheckUP GmbH