Der Kampf um die Daten aus dem Auto

Der Kampf um die Daten aus dem Auto

8. Februar 2021 0 Von Jürgen Rinn

Daten fallen in modernen Autos durch den zunehmenden Einsatz von Elektronik sowie fortgeschrittenen digitalen Technologien an. Die Daten von Autofahrern bilden die Grundlage für die unterschiedlichsten Mobilitäts- sowie Serviceangebote und damit Geschäftsmodelle der Zukunft: Keine Frage, dass der Wettlauf um den Datenschatz der Autofahrer entsprechend umkämpft ist. Der Kampf um die Daten aus dem Auto, der „Goldrush“ des 21. Jahrhunderts, ist längst im Gange. Verschiedene Interessengruppen verlangen hierauf Zugriff, weil diese Informationen die Grundlage für künftige Geschäftsmodelle und Mobilitätsangebote darstellen.

Daten aus dem Auto: für Reparatur ok

Derzeit gibt es noch keine gesetzliche Regelung, was mit den Daten aus dem Auto geschehen soll, die zum Beispiel mit dem Fahrzeugzustand oder dem Fahrstil zu tun haben. DEKRA hat mit dem Institut forsa 1.007 Autofahrer bundesweit befragt, wie mit diesen Daten zu Fahrzeug und Fahrer umgegangen werden soll. 

Die Befragten erteilen dem „Gläsernen Autofahrer“ eine klare Absage. Aus Sicht von 88 Prozent sollte der Fahrzeugbesitzer entscheiden können, was mit den Daten aus dem Auto geschieht, also welche Organisation oder Behörde auf welche Daten Zugriff hat und entsprechend verwenden kann. 38 Prozent meinen zudem, dieses Recht solle auch dem jeweiligen Fahrer zustehen, wenn er nicht Fahrzeugeigentümer ist, zum Beispiel bei Mietwagen. Die große Mehrheit (72 Prozent) möchte beispielsweise nicht, dass andere – Werkstatt, Versicherung oder Behörden – erfahren, wie ihr Fahrstil ist. Mehrheitlich (63 Prozent) finden es die Autofahrer hingegen gut, wenn sie die Werkstatt oder der Hersteller durch den Zugriff auf Fahrzeugdaten auf nötige Reparaturen aufmerksam macht. 

Autofahrer fürchten, dass man sie ausspäht

Knapp die Hälfte (46 Prozent) hat Angst, dass sie über den Datenzugriff von anderen ausgespäht werden, also dass ihr Fahrverhalten analysiert wird oder dass ihr Fahrzeug gehackt werden könnte und dadurch ihre Sicherheit beim Fahren gefährdet sein könnte.  Die große Mehrheit der Befragten (80 Prozent) geht davon aus, dass sich voll automatisierte Autos, die komplett eigenständig fahren, früher oder später durchsetzen werden. 42 Prozent rechnen damit, dass dies in den nächsten 10 bis 20 Jahren der Fall sein wird. 26 Prozent denken, dass es später soweit kommen wird. An das voll automatisierte Fahren in naher Zukunft (in weniger als zehn Jahre) glauben zwölf Prozent.

Doch damit die gesamte Vielfalt an (Dienst-)Leistungen und Annehmlichkeiten, die auf Basis der Daten von Autofahrern denkbar sind, auch allen interessierten Verbrauchern nutzbar gemacht werden kann, müsste dieser „Datenschatz“ in einem fairen Wettbewerb möglichst vielen Marktteilnehmern zugänglich sein. Das machten die Experten beim aktuellen Goslar Diskurs der Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern, des Goslar Instituts, am 28. Januar 2021 deutlich.

Autohersteller wollen Daten behalten

Die Automobilhersteller, deren Produkte diese Daten generieren, halten an der Hoheit darüber fest. Dabei handelt es sich ja eigentlich um persönliche Informationen der Autofahrer, die sowohl über die Nutzung ihrer Daten aus dem Auto entscheiden können sollten wie auch über den Gegenwert dafür. So wie sie ihn beispielsweise bei der Telematik-Kfz-Versicherungspolice erhalten, die etwa die HUK-COBURG anbietet. Hier werden Autofahrer für eine vorsichtige, defensive und umweltfreundliche Fahrweise mit Tarifrabatten belohnt. Für den Telematik-Tarif erhebt Deutschlands Marktführer bei den Kfz-Versicherungen Daten zur Fahrweise des Kunden mit einem gesonderten Sensor im Auto.

Freier und fairer Wettbewerb notwendig

Doch damit soll es nicht getan sein: Wie andere Mobilitätsanbieter auch, erweitere der Versicherer sein Geschäftsfeld und plane weitere günstige Mobilitätsservices, erläuterte Dr. Rheinländer, Vorstandsmitglied der HUK-COBURG. Dadurch soll eine ständig wachsende Palette neuer Dienstleistungen rund um die Mobilität entstehen, die den Konsumenten zugutekommen. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass der Autofahrer Herr seiner Daten ist, damit er selbst über die ihm angenehmen Mobilitätsangebote entscheiden kann, betonte er. Deshalb fordert die HUK-COBURG, dass der Kunde in einem freien und fairen Wettbewerbsumfeld über seine Daten bestimmen können soll.

Autohersteller kochen ihr „eigenes Süppchen“

Bislang zögern die Autoproduzenten allerdings noch, Wettbewerbern Zugang zu dem Datenschatz der Kfz-Nutzer zu ermöglichen. „Die Autohersteller sind eher nicht gewillt, diese Daten mit anderen Anbietern zu teilen, sondern versuchen, ihr eigenes Süppchen zu kochen“, erklärte Automobil-Experte Guido Reinking beim Goslar Diskurs. Denn die Unternehmen wissen um den Wert der Daten. Aktuell gebe es etwa Diskussionen darüber, welche Daten als personenbezogen zu gelten haben und somit eigentlich dem Autofahrer gehören, und welche frei verwendbare technische Daten aus dem Auto sind, berichtete Reinking. So sei ein aktuelles Streitthema, dass bei einem anstehenden Service oder einer notwendigen Reparatur derzeit von der Fahrzeugelektronik nur auf den Hersteller des Autos verwiesen wird. Dieser kann dem Kunden so direkt einen entsprechenden Termin anbieten. Was aber, wenn der Kunde nicht zu einer Marken-, sondern einer möglicherweise preiswerteren freien Werkstatt will? Deshalb müsse geklärt werden, wem solche Informationen gehören, wer sie erhalten und nutzen darf, stellte Reinking fest.

Wie der Kenner der Autobranche erläuterte, wird mittlerweile „einiges“ an Daten zwischen Auto und Hersteller hin- und hertransportiert. So können Besitzer moderner Fahrzeuge zum Beispiel mittels einer App erkennen, wo ihr Auto gerade steht, ob es richtig verschlossen und wie viel Sprit noch im Tank ist. Solche Helfer könnten noch erheblich ausgebaut werden, etwa wenn sich das Fahrzeug besser mit dem Handy des Fahrers synchronisieren lasse, um Routen zu planen, erläuterte Reinking. Dann wäre das Auto z. B. in der Lage, von sich aus Angebote zu machen, wo der Fahrer unterwegs am günstigsten tankt oder am besten eine Rast einlegt, wie es das Smartphone heute schon kann. Dafür benötigt ein Auto die Daten zur geplanten Tour. „Auf Basis solcher Informationen lassen sich also interessante Geschäftsmodelle entwickeln“, fasste der Auto-Experte zusammen.

Hohes Gut Datensicherheit – auch bei Daten aus dem Auto

Dem stehen jedoch zurzeit nicht nur die Blockade-Position der Automobil-Industrie, sondern auch Bedenken der Verbraucher in Bezug auf die Sicherheit ihrer Daten im Weg. Datensicherheit ist ein ganz wichtiges Kriterium für Autofahrer, wenn es um die schöne neue Welt der Mobilität geht – das machen Studien wie die des Goslar Instituts zum Thema „Big Data“ immer wieder deutlich. Diese Untersuchung brachte allerdings auch ein nicht eindeutiges bzw. häufig widersprüchliches Verbraucherverhalten ans Licht: nämlich einerseits hohe Anforderungen an Datensicherheit bei einem andererseits häufig recht leichtfertigen Umgang mit eigenen persönlichen Daten.

Für freien Zugang auf den „Datenschatz der Autofahrer“, um Innovationen zu ermöglichen, sprach sich beim Goslar Diskurs auch Prof. Dr. Ellen Enkel aus, die an der Universität Duisburg-Essen den Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Mobilität innehat und das Institut für Mobility Transformation (MOTION) unterstützt. Nur bei einem nicht-eingeschränkten Wettbewerb um Mobilitätsdaten könnten auch andere Anbieter ganz neue kundenorientierte Services entwickeln, erklärte Prof. Enkel. Sie berichtete von einer aktuellen Konkurrenz zwischen Unternehmen, die eine Plattform anbieten wollen, auf der Mobilitätsdaten angeboten werden, allerdings gegen Bezahlung. Zurzeit werde an unterschiedlichen Modellen von Plattformen gearbeitet, erläuterte die Wissenschaftlerin. Dabei stelle die Bewertung der Daten ein wesentliches Problem dar.

Autodaten lassen Geschäftsmodelle sprießen

Prof. Enkel ließ keinen Zweifel daran, dass die zukünftigen Geschäftsmodelle rund um Mobilität datenbasiert sein werden. Sie plädierte dafür, dass verschiedene Unternehmen und sogar Branchen gemeinsam Innovationen vorantreiben und neue Angebote entwickeln sollten. Die Automobilindustrie müsse sich viel stärker als Mobilitätsindustrie verstehen, die dem Kunden mehr biete als nur den Kauf eines Neuwagens, forderte die Expertin. Aus ihrer Sicht könnte es der Automobilindustrie mit digitalen Plattformen gelingen, den Kunden nicht nur das Angebot eines Herstellers zur Verfügung zu stellen, sondern auch die Mobilitätsangebote anderer Player als Produkte oder Dienstleistungen.

Autohersteller haben wichtige Trends verschlafen

Doch auch in dieser Hinsicht habe die klassische Autobranche in Deutschland einige Trends verschlafen, konstatierte der ehemalige Central Europe Director für das Europageschäft des US-Elektroautobauers Tesla, Jochen Rudat, der seit 2020 die Beratungsgesellschaft Muchbetterelectric betreibt. Bei der Monetarisierung von Daten machten neue Player das Rennen, sagte Rudat beim Goslar Diskurs, wie etwa die Startups, die sich mit Software und Robotik auskennen. In dem Bereich gebe es weltweit 150 Startups, die insgesamt mit rund 500 Milliarden Investments arbeiten könnten, berichtete der Experte. Diese neuen Player könnten hier viel fokussierter vorangehen als die klassischen Hersteller.

Allerdings dürfe man die deutschen Hersteller nicht über einen Kamm scheren, schränkte Rudat ein, denn einige seien schon weiter, während andere noch zurückhängen. Aber es gehe grundsätzlich in die richtige Richtung, stellte er der Branche ein durchwachsenes Zeugnis aus. Der Branchenkenner wies zudem darauf hin, dass die Beschwerden über Autohersteller meist von Datenschützern ausgingen und nicht von Kunden selbst. Daher könnte es aus seiner Sicht viel helfen, wenn die Autoindustrie von sich aus mehr Transparenz schaffen würde, etwa welche Daten erhoben, wofür verwendet und ob sie gespeichert werden. Da müssten die Autohersteller proaktiv auf die Kunden zugehen, appellierte Rudat an die Branche. Denn Studien hätten gezeigt, dass Kunden eher bereit seien, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, wenn sie darüber informiert sind, was mit ihren Daten geschieht, hob auch er hervor. Zum Thema Treuhändermodell riet der Experte, sich neuen Technologien nicht zu verschließen, wie etwa der Blockchain-Technologie.

Foto: DEKRA

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