Clément de Valon: „Neue Player versuchen, die traditionellen Anbieter zu verdrängen“

Clément de Valon: „Neue Player versuchen, die traditionellen Anbieter zu verdrängen“

30. Mai 2023 0 Von Dr. Frauke Hewer

Clément de Valon ist ein alter Hase im europäischen automotive Aftermarket. Fast 30 Jahre hat er einige verantwortliche Positionen bei Schwergewichten der Branche inne gehabt. Als Verantwortlicher für das globale Geschäft im IAM gab er uns einen Ausblick auf die Zukunft.

amt: Wie unterstützt TMD Friction seine Kunden in Hinblick auf die Elektrifizierung des Fuhrparks?

Clément de Valon: Die Elektromobilität stellt den Teilehandel vor neue Herausforderungen und wird ohne Zweifel Kosten, Bedarf und Aufwand für Wartung und Reparatur verändern. Wir sind allerdings überzeugt, dass die die Sicherstellung von leistungsfähigen Bremssystemen in Fahrzeugen auch in Zukunft ein wichtiges Geschäft für die freie Werkstatt bleibt – auch wenn die starke Selbstbremswirkung des E-Motors dazu führt, dass es für geringe Verzögerungen völlig ausreicht, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen.

amt: Was tun Sie dafür, mit TMD Friction auch in Zukunft im Geschäft bleiben zu können?

Clément de Valon: Als Friction Expert leisten wir einen wesentlichen Beitrag, damit der Ersatzteilmarkt auch bei elektrisch angetriebenen Fahrzeugen konkurrenzfähig bleibt. Wir sind wirklich stolz, sagen zu können, dass das Ersatzteilprogramm unserer Premium-Marke Textar aktuell 99 Prozent der europäischen Fahrzeugflotte an E-Fahrzeugen und Hybriden abdeckt. Damit sind wir, was die Abdeckung für elektrisch angetriebene Autos angeht, Spitzenreiter im Markt.

Und nicht nur das – als Serienlieferant kennen wir die Ansprüche der Fahrzeughersteller an Bremskomponenten für Elektrofahrzeuge und sind als einer von wenigen Herstellern in der Lage, die nötige Materialabstimmung vorzunehmen.

Diese spielt beim E-Auto eine noch viel größere Rolle als beim Verbrenner, da der Belag auf der einen Seite nicht so aggressiv sein darf, dass Geräusche entstehen, auf der anderen Seite aber aggressiv genug sein muss, um eine gute Bremsperformance zu liefern und die Scheibe gegebenenfalls von Ablagerungen und Korrosion frei zu bremsen. Das klingt vielleicht banal – aber dahinter stecken mehr als 100 Jahre Materialkompetenz und Entwicklungserfahrung sowie ein Team von Spezialisten, die aus 797 verschiedenen Rohstoffen genau die richtigen optimal miteinander kombinieren.

amt: Die Distributionswege verändern sich, große Player versuchen zunehmend Einfluss zu nehmen. Wie stellt sich TMD Friction auf?

Clément de Valon: Korrekt, die Phase der Konsolidierung ist in Europa noch nicht abgeschlossen. Große internationale Player werden den Markt in Zukunft noch stärker dominieren. Auf diese Veränderungen ist TMD Friction gut vorbereitet. Wir positionieren uns in allen Bereichen der Wertschöpfungskette als Experte für Bremstechnologie, der jedem Fahrer auf der Welt die richtige Bremslösung für sein Fahrzeug und sein Budget zur Verfügung stellen kann. Dem Handel bieten wir ein breit gefächertes Markenangebot, mit dem er alle Anforderungen der Werkstatt bedienen kann – von unserer Top-Marke Textar über die hohe Qualität von Pagid Mintex und Bendix bis hin zu preiswerteren Markenprodukten von Don. Hinzu kommen noch die Marken Nisshinbo für asiatische Anwendungen und Cobreq für den südamerikanischen Markt. Auch können wir für Großhändler die Entwicklung und Fertigung von Eigenmarken übernehmen. Um unsere Kunden mit optimalen Lösungen für verschiedene Vertriebskanäle zu unterstützen, entwickeln wir unsere Positionierung, unsere Wertschöpfung und unser Markenportfolio kontinuierlich weiter.

amt: Online-Kanäle und digitale Dienste gewinnen an Bedeutung. Wie reagieren Sie auf die voranschreitende Digitalisierung, die durch die Corona-Krise noch beschleunigt wurde?

Ja – die Anforderungen und Verhaltensweisen der Endkonsumenten werden zunehmend digitaler und neue Player versuchen, die traditionellen Anbieter zu verdrängen.

Clément de Valon

Die Grenzen zwischen B2B und B2C verschwimmen immer mehr. Preise werden weltweit transparent. Das hat für den Verbraucher natürlich Vorteile, aber dennoch ist nicht davon auszugehen, dass dadurch beispielsweise der Privat-Konsument zunehmend Ersatzteile für das Bremssystem seines Fahrzeugs selber kauft. Im Gegenteil.

amt: Wie werden Sie sich selbst in Zukunft digital aufstellen?

Clément de Valon: Aufgrund der Komplexität der Fahrzeuge glaube ich eher, dass Autofahrer auch in Zukunft auf die Werkstatt ihres Vertrauens und die dahinterstehende bewährte Handelsstruktur zurückgreifen werden – zumal es bei der Bremsenreparatur ja um die Sicherheit geht. Aber wer seine Position in Zukunft sichern will, der braucht definitiv eine starke digitale Präsenz und digitale Services. Für uns als Hersteller ist diese Entwicklung auch eine Chance, direkt mit den Anwendern unserer Produkte in Kontakt zu kommen. Aus diesem Grund arbeiten auch wir weiter an unserer Digitalisierungsstrategie, um das Kundenerlebnis über alle Berührungspunkte hinweg zu verbessern und unsere digitalen Dienstleistungen – so zum Beispiel das Angebot technischer Online-Schulungen – auszubauen.

amt: In den B2B-Markt drängen zunehmend erfolgreiche Online-Anbieter aus dem B2C-Markt. Wie begegnen Sie dieser Entwicklung?

Clément de Valon: Dies ist ein Trend, dem wir uns nicht verschließen. Vielmehr sorgen wir auch in diesem Kanal dafür, dass unser Markenportfolio präsent ist. So beliefern wir über bestehende Handelspartner auch schon ausgewählte große E-Commerce-Plattformen. Wir sind daran interessiert, mit ausgesuchten Anbietern zusammenzuarbeiten, die auf die Kfz-Branche spezialisiert sind und unsere Marken und die damit verbundenen Produktspezifikationen transportieren.

amt: Wir haben gerade einige Krisen hinter uns und stecken mitten in geopolitischen Spannungen. Dazu kommen Handelskriege und Sanktionen, zunehmende Inflation, Unterbrechung der globalen Lieferketten – wie geht TMD Friction mit all diesen Herausforderungen um?

Clément de Valon: Die Welt hat sich in den letzten drei Jahren wirklich verändert, und niemand hat mit der Pandemie und einem Krieg in Europa gerechnet. Auf diese Ereignisse haben wir als Zulieferer auf dem Ersatzteilmarkt so schnell wie möglich reagiert, um die Verfügbarkeit in der Lieferkette zu gewährleisten. Seit März 2020 haben wir unsere Strukturen und Prozesse weiter optimiert. So wurden beispielsweise sehr agile und flexible Entscheidungsprozesse etabliert, damit unsere Kunden trotz der Umstände eine hohe Verfügbarkeit genießen. Darüber hinaus haben wir unsere Beschaffungsprozesse und -strategie neu ausgerichtet, um uns noch besser auf die Veränderungen in der Zukunft vorzubereiten. Insgesamt können wir sagen, dass wir das höchstmögliche Serviceniveau in der Branche aufrechterhalten konnten.

amt: Worin manifestiert sich Ihre besondere Resilienz gegen diese Krisen?

Clément de Valon: Zum Beispiel hat uns die International Trading Group TEMOT International für unser hervorragendes Supply Chain Management im Jahr 2021 ausgezeichnet. Diese Auszeichnung, die wir trotz einer kritischen Phase von gestörten Lieferketten während einer globalen Pandemie erhalten haben, honoriert unsere großen Anstrengungen und zeigt, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben. Diesen wollen wir auch in Zukunft weitergehen und unseren Kunden durch reibungslose Logistikprozesse alle Probleme abnehmen. Aber tatsächlich ist es gerade täglich ein sehr harter Kampf, die Verfügbarkeit für unsere Kunden sicherzustellen; und er wird sehr wahrscheinlich in den nächsten Jahren mit anhaltenden geopolitischen Spannungen weitergehen.

amt: Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft – was glauben Sie wie sich der Service in der Werkstatt in den nächsten fünf Jahren verändert? Wird die Bremsenreparatur und Wartung ihren hohen Anteil am Werkstattumsatz einbüßen, da E-Fahrzeuge auch weniger die Bremse abnutzen?

Ich denke, der Markt ist momentan mit vielen verschiedenen Trends konfrontiert, dessen Auswirkungen niemand zum jetzigen Zeitpunkt vollständig absehen kann. Ja, die Elektrifizierung wird Auswirkungen haben.

Clément de Valon

Das ist klar, aber klar ist auch, dass auch bei einem E-Fahrzeug die Bremsbeläge erneuert werden müssen. In welchem Umfang sich die Abnutzung der Bremsbeläge über die gesamte Laufleistung reduziert, ist schwierig zu prognostizieren. Uns liegen Zahlen vor, dass diese um 50 Prozent sinken könnte; andere Prognosen zeigen nur eine Reduktion um 20 Prozent. Das hängt meines Erachtens sehr stark vom Fahrzeug und vom Fahrverhalten ab. Wir glauben, dass es noch viele andere Gründe für den Austausch von Bremsbelägen und Bremsscheiben geben wird als die Abnutzung – zum Beispiel Rost. Dazu kommt noch ein anderer Aspekt.

Die Elektromobilität kommt nicht von heute auf morgen. Wie gesagt könnten 45 Prozent der Neuwagenverkäufe im Jahr 2035 elektrifiziert sein. Auf den Straßen in Europa sind aber 340 Millionen Fahrzeuge mit einem Durchschnittsalter von 12 Jahren unterwegs. Bis sich der Fuhrpark auf Elektromobilität umgestellt ist, vergeht noch viel Zeit. Insofern ist es schwer abzuschätzen, was dieser Trend am Ende für die Werkstatt bedeutet. Aber Bremsbeläge sind wichtig für die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer – darum sind wir überzeugt, dass ihre Wartung und Instandhaltung auch im Jahr 2030 oder 2040 für Autofahrer eine Rolle spielen werden; unabhängig von der Antriebsart des Fahrzeugs. Darum sehen wir Bremslösungen für die Werkstatt nach wie vor als vielversprechendes Geschäft und sind sicher, dass unsere Expertise noch lange gefragt ist.

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