Neue Spielregeln für die Supply Chain

Neue Spielregeln für die Supply Chain

18. Oktober 2022 0 Von Dr. Frauke Hewer

Viele Jahre war Toyota für Logistik-Experten ein Vorbild. Man hatte dort viele Prozesse optimiert. Corona aber ließ die Supply Chain stocken. Und fordert jetzt andere Methoden.

Taiichi Ohno hat es schon in den 1950er Jahren vorgemacht. Der Erfinder des Toyota Produktionssystems (TPS) hatte stets zum Ziel, Verschwendung – japanisch: Muda – zu vermeiden. Die von ihm entwickelten Produktionskonzepte (Kaizen, Kanban, Just-in-time) zielen darauf ab, alle nicht wertschöpfenden Tätigkeiten aus dem Prozess zu entfernen. Das war über Jahrzehnte richtungsweisend. Scharen von Produktions- und Logistik-Experten pilgerten in die Toyota-Produktionsstätten und wunderten sich, wie klein die Fabriken, wie knapp die Vorräte und wie produktiv die Werke waren.

Just in time funktioniert nicht mehr

Diesem Vorbild folgte die Industrie. Bestände wurden reduziert: Das verringert die Kapitalbindung. Die Belieferung erfolgt just-in-time: Der Lkw ersetzt das Lager vor Ort. Dieses Konzept der globalen stromlinienförmigen Supply Chain war ein maßgeblicher Treiber für immer höhere Effizienz, zum Beispiel in der Automobilindustrie – bis die Pandemie kam.

Die Schließung von Häfen und Fabriken in China hat erstmals gezeigt, wie anfällig global vernetzte Lieferketten sind. Wenn ein Container, beispielsweise von Hongkong nach Hamburg, nicht mehr zuverlässig 25 bis 30 Tage, sondern doppelt so lange braucht, oder der Container in China gar nicht erst abgefertigt wird, ist die Lieferkette zum Zerreißen angespannt – obwohl, oder gerade weil, sie vorher darauf getrimmt wurde, Verschwendung zu vermeiden. Wenn die Passage nicht nur sehr viel länger dauert, sondern auch deutlich teurer ist, sind unter Umständen die Kostenvorteile des „Offshoring“ dahin und die Verschwendung ist groß, weil etwa Autos oder Maschinen mit fehlenden Teilen nicht fertiggestellt oder ausgeliefert werden können.

Supply Chain anders organisieren

Das ist nur ein Supply-Chain-Problem von vielen, die aktuell die gesamte Wirtschaft betreffen. Andere sind: Halbleiterknappheit, Mangel an Papier und Pappe (für Verpackungen), fehlendes Holz (für Paletten) und Engpässe bei elektronischen Produkten wie Schaltgeräten und Sensoren.

Bei diesen Materialien und Zulieferteilen gelten neue „Spielregeln“ für die Organisation der Supply Chain. Selbst Unternehmen mit sehr hohem Beschaffungsvolumen und bestens organisierten Lieferketten – insbesondere aus der Automobilindustrie – fanden sich plötzlich in der ungewohnten Position, dass es nicht nur kurzfristig, sondern strukturell bedingt zu Lieferausfällen kam und weiterhin kommt.

Verschwendung ändert sich

Unter dem Aspekt müssen die Beschaffer und Logistiker den Begriff „Verschwendung“ nun neu definieren. Einige Faktoren, die bislang im Fokus standen – zum Beispiel das FIFO-Prinzip bei Produkten, die ein Mindesthaltbarkeitsdatum haben oder anderweitig der Alterung unterliegen – sind nach wie vor wichtig. Aber es gibt jetzt zusätzliche, mindestens ebenso weitreichende Aspekte für das Funktionieren der Supply Chain mit einem Mindestmaß an Verschwendung. Letztlich läuft es auf die Frage hinaus: Muss man die Supply Chain grundsätzlich anders strukturieren, um dauerhaft liefer- und produktionsfähig zu bleiben, und dabei bewusst auch ein gewisses Maß an Verschwendung in Kauf nehmen?

Auch der Aspekt der Nachhaltigkeit spielt bei der Gestaltung der Supply Chain zunehmend eine wichtige Rolle, unabhängig von den aktuellen Lieferkettenproblemen. Dabei schneidet der bisherige weltweite Transport alleine schon wegen des CO2-Footprints eher weniger gut ab. Dasselbe gilt für einen weiteren Faktor, der mit dem ab Januar 2023 gelten Lieferkettengesetz Einzug in die deutsche Gesetzgebung gefunden hat: die sozialen Standards.

Mehr Dynamik

Die Optimierung der Supply Chain und die Vermeidung von Verschwendung unter den neuen „Spielregeln“ und Gegebenheiten ist eine echte Herausforderung. Sie verlangt strategisches Denken: Soll man – ganz entgegen der bewährten Praxis – bewusst „Verschwendung“ in Kauf nehmen und die Lagerbestände erhöhen? Soll man die Lieferketten verkürzen und mehr auf regionale Zulieferer setzen? Ebenso ist aber detaillierte Kleinarbeit nötig: Wo gibt es bei jedem einzelnen Produkt Gefährdungen in der Supply Chain, die zu Verschwendung führen, zum Beispiel zu Stockungen in der Produktion, Lieferverzögerungen, Pönalen…?

Um das valide einschätzen zu können, braucht man im Supply Chain Management Transparenz, unter anderem durch aktuelle Daten. Mit der richtigen SCM-Software, die auch richtig eingesetzt wird, kann der Anwender systematisch seine Bestände überblicken und Prognosen über die einzukaufenden Mengen abgeben.

Vorräte helfen in der Not

Bisher stand dabei das Ziel im Vordergrund, die Bestände weiter zu senken, um Verschwendung zu vermeiden. Heute kann die umgekehrte Handlungsweise die bessere sein: Wenn Zulieferteile knapp und internationale Handelswege unzuverlässig werden, sollten die Sicherheitsbestände eher erhöht werden. Auch der Aufbau von (ggf. regional ansässigen und wegen der Lohnkosten teureren) Zweitlieferanten kann die Liefersicherheit erhöhen und unterm Strich günstiger sein. Denn: Kaum etwas ist „verschwenderischer“ als eine stockende Produktion oder fehlende Lieferfähigkeit den Kunden gegenüber.

Wie lässt sich das Ziel, die Supply Chain stabiler zu organisieren (und ein möglichst minimales Maß an Verschwendung in Kauf zu nehmen), am besten erreichen? Aus Sicht der Supply-Chain-Experten von ifm sind vor allem drei Strategien wirkungsvoll.

Stabile Lieferketten sind gefragt

Der Grundstein einer funktionierenden Supply Chain liegt in einer präzisen Absatzplanung. Dafür braucht es eine Softwarelösung, die einen detaillierten und zuverlässigen Forecast ermöglicht und dabei Aspekte und Informationen aus verschiedenen Quellen, zum Beispiel aus Marketing, Vertrieb und Kundenplanung, berücksichtigt. Zu nennen ist hier vor allem das Absatzplanungsmodul aus dem Hause ifm, das zusätzlich über eine große Bandbreite einsetzbarer Prognoseverfahren verfügt. Die Empirie zeigt, dass dies ein Schlüssel zum Erfolg, nämlich zu möglichst passgenauen Ergebnissen, ist. Grafische Darstellungen machen es dem User leicht, das bestmögliche Verfahren zu wählen und Ausreißer auf einen Blick zu identifizieren.

Viele Unternehmen arbeiten mit Alternativ- und Zweitieferanten – alleine schon aufgrund des Preisvergleichs und der Abhängigkeit. Dies bietet die Möglichkeit, besonders zuverlässige Lieferanten mit zusätzlichen Zulieferteilen oder Materialien zu beauftragen. In Hinblick auf die Auslastung von Ladungsträgern und zur Reduktion der Transportkosten, kann auch eine sinnvolle Bündelung von Bestellanforderungen abgewogen werden. Damit hier nicht zu viel und zu früh bestellt wird, liefert das GIB Buying von der ifm Vorschläge, die per Klick ins System übernommen werden können. So lassen sich Kosten und Ausfallrisiken einfach gegeneinander abwägen. Und ganz nebenbei wird auch noch der CO2-Ausstoß verringert.

Die Produktion planen

Eine auftragsübergreifende, optimierte Produktionsreihenfolgeplanung unter Berücksichtigung aller Arbeitsplätze im Werk sowie aller relevanten Restriktionen trägt ebenfalls dazu bei, Engpässe durch mangelnde Teile-/Materialverfügbarkeit zu umgehen. Mit dem Pegging-Baustein, den die meisten bislang nur aus dem SAP APO kannten, und einem neuen Optimierungsalgorithmus aus dem Hause ifm, fließen Kapazitäten, Zeitstempel, Ziele, Engpassfaktoren und Materialverfügbarkeiten in die Berechnung ein. Ausgeworfen wird dann ein optimierter Produktionsfeinplan, der tatsächlich machbar ist und alle ausgewählten Aufträge berücksichtigt. So funktioniert Produktionsplanung auch in schwierigen Zeiten.

By: Gerald Scheffels für ifm 

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