Autonome Fahrzeuge lösen Verkehrsprobleme in Innenstädten nicht

Autonome Fahrzeuge lösen Verkehrsprobleme in Innenstädten nicht

29. Oktober 2019 2 Von Jürgen Rinn

und steigern das Verkehrsaufkommen bis zu 40 Prozent

Autonome Fahrzeuge werden vielfach als die Lösung für die aktuellen Verkehrsprobleme in den Innenstädten der Welt propagiert. Sie sollen Staus abhelfen, Umweltproblemen entgegenwirken, Verkehrsunfälle reduzieren und sich ganz allgemein als praktische Transportlösung für Jedermann etablieren. Soweit so gut. Aber können sie das auch?

Die autonomen Fahrzeuge sollen das Verkehrsaufkommen in den ohnehin schon überfüllten Stadtzentren tendenziell erhöhen statt verringern, so zumindest lautet eines der zentralen Ergebnisse der gemeinsamen Untersuchung des Weltwirtschaftsforums und des Beratungsunternehmens Boston Consulting Group (BCG) mit der Stadt Boston. Aus einer nach eigener Aussage aufwändigen Verkehrssimulation für die US-amerikanische Ostküsten-Metropole Boston ziehen die an der Studie Beteiligten den Schluss, dass durch den verstärkten Einsatz von Roboterautos die Reisezeiten in der Stadt insgesamt um 4,3 Prozent sinken werden.

Mehr Verkehr durch autonome Fahrdienste

In der Umgebung der Bostoner Innenstadt könnten die Fahrtzeiten so sogar um 12,1 Prozent abnehmen. Dagegen erwarten die Fachleute für Boston-Zentrum im Durchschnitt eine Verlängerung der Fahrtzeiten um 5,5 Prozent. Begründung: Voraussichtlich günstige Transportangebote werden viele Menschen dazu bewegen, im innerstädtischen Bereich selbstfahrende Taxis zu nutzen statt des öffentlichen Nahverkehrs.

Dass die sogenannten Roboterautos derzeit ihren Nimbus als Problemlöser für die Mobilität von morgen einzubüßen scheinen, kommt jetzt auch eine weitere Untersuchung zu dem Ergebnis, dass autonom fahrende Taxis und Shuttle-Fahrzeuge einen massiven Anstieg des innerstädtischen Autoverkehrs zur Folge haben können. Zudem soll der öffentliche Nahverkehr durch die autonomen Konkurrenzangebote Probleme bekommen. So zumindest geht es aus einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens Deloitte zum Thema „Urbane Mobilität und autonomes Fahren im Jahr 2035“ hervor.

„Revolution der Mobilität“ durch autonome Fahrzeuge

Die Verfasser der Deloitte-Studie gehen davon aus, dass im Jahr 2035 autonome Fahrzeuge für eine „Revolution der Mobilität“ gesorgt haben werden. Das bedeutet demnach, dass viele Autos auf unseren Straßen bereits vollautonom unterwegs sind und ein großer Teil davon sich nicht im Besitz von Privatpersonen, sondern von Mobilitätdienstleistern befindet. Letztere betreiben eine große Flotte von autonomen Taxis und Shuttles und bieten Fahrten von Tür zu Tür an, so die Erwartung von Deloitte. Darüber hinaus rechnen die Autoren damit, dass dieses Angebot zu signifikanten Preissenkungen für Mobilität führen wird.

Konkret soll demzufolge ein Kilometer mit dem Robotaxi 34 Cent kosten, mit dem Roboshuttle lediglich 15 Cent. Zum Verständnis: Autonome Taxis können ein bis zwei Passagiere transportieren, autonome Shuttles als eine Art Sammeltaxi maximal vier Personen. Diese Verkehrsmittel sollen jederzeit und ohne große Wartezeit verfügbar sein und ihre Fahrgäste von Tür zu Tür bringen. Den Berechnungen von Deloitte zufolge wird ein Robotaxi damit achtmal günstiger sein als ein normales Taxi heute. Und der Kilometerpreis läge demnach um 25 Prozent unter dem eines privat betriebenen Mittelklassewagens.

Das Zwölffache der heutigen Taxiflotte als autonome Fahrzeuge

Ließe man den Marktkräften freien Lauf, wären im Jahr 2035 rund 740.000 autonome Fahrzeuge in den Städten unterwegs, heißt es in der Studie. Das wäre das Zwölffache der heutigen Taxiflotte. Jeder dritte Weg würde somit in autonomen Fahrdiensten zurückgelegt werden. Der Preiswettbewerb soll dann nicht nur das private Auto verdrängen, dessen Anteil an den täglich gefahrenen Strecken sich von heute 49 auf 32 Prozent im Jahr 2035 reduzieren wird, so die Kalkulation. Auch die Nutzung des ÖPNV wird demnach von 20 auf 14 Prozent sinken. Sogar die Nutzung von Fahrrad und Fußweg soll der Prognose zufolge von 31 auf 21 Prozent zurückgehen.

„Die Anzahl der Fahrzeuge, die zeitgleich auf unseren Straßen fahren, nimmt zu. Damit sinkt der Verkehrsfluss und das Staurisiko wird deutlich erhöht“, sieht Dr. Thomas Schiller, Partner und Leiter Automotive bei Deloitte, als Folge davon in zwei wesentliche Effekte. Dabei soll der Fahrzeugbestand in urbanen Regionen zwar um 20 Prozent abnehmen, wodurch vor allem der Parkraum entlastet würde. Da jedoch autonome Fahrzeuge häufiger genutzt werden, steigere sich der Verkehr in den Städten in Spitzenzeiten um bis zu 40 Prozent. Die Folge davon wären Staus.

Durchschnittsgeschwindigkeit auf den Straßen soll sinken

Entsprechend soll die Durchschnittsgeschwindigkeit auf den Straßen dann um 10 Prozent sinken und die morgendliche Fahrtzeit zur Arbeit im Schnitt um 2,5 Minuten länger werden, und das für alle Verkehrsteilnehmer. Zumindest die Umwelt werde durch den zunehmenden Verkehr kaum belastet, stellt die Studie fest. Denn die autonomen Fahrzeuge dürften durchgängig elektrisch angetrieben werden und damit lokal emissionsfrei sein.

„Wenn sich der Markt frei ohne Regulierung entwickeln würde, wäre das Potenzial enorm“, resümiert Deloitte-Chefökonom Dr. Alexander Börsch. Denn die Nutzungsbereitschaft und die Nachfrage seien hoch. Doch die Politik müsse die richtigen Weichen stellen, damit eine erhöhte Verkehrsbelastung verhindert wird, erklärt Börsch. Aus seiner Sicht könnte eine smarte Regulierung eine Lösung sein, um Mobilität in geordnete Bahnen zu lenken und einen Verkehrskollaps zu vermeiden.

Foto: Goslar Institut

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