Elektrifizierung und ihre Auswirkungen auf den Kfz-Aftermarket

Elektrifizierung und ihre Auswirkungen auf den Kfz-Aftermarket

13. September 2022 0 Von Dr. Frauke Hewer

Dass E-Autos den Automobilmarkt verändern, liegt auf der Hand. Vor allem sorgt die Elektrifizierung dafür, dass weniger repariert werden muss. Für alle im Aftermarket heißt das: be prepared!

Batteriebetriebene Fahrzeuge (BEVs) benötigen rund 30 Prozent weniger Ersatzteile und werden laut BEV-Verkaufsszenarien 2030 einen Marktanteil von 53 bis 82 Prozent erreichen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine gemeinsame Studie von Roland Berger und CLEPA, dem Europäischen Verband der Automobilzulieferer. Darin entwickeln die Autoren drei Zukunftsszenarien und geben Empfehlungen, wie die Branche den Wandel gestalten kann.

Elektrifizierung: neu positionieren

„Für die Unternehmen im Kfz-Ersatzteilmarkt ist die Planung für den Übergang zur Elektrifizierung sehr komplex, weil auch nach 2035 viele Autos auf unseren Straßen noch einen Verbrennungsmotor haben werden. Trotz des derzeit niedrigen E-Auto-Anteils von nur 0,8 Prozent am Fahrzeugbestand müssen sich die Akteure schon jetzt neu positionieren, um ihren zukünftigen Erfolg zu sichern.“

Felix Mogge, Partner bei Roland Berger

Die Automobilindustrie erlebt seit einigen Jahren einen rasanten Wandel. Eine Kombination aus Technologietrends, verändertem Kundenverhalten, diversen Engpässen in der Lieferkette und die vorgeschlagene Verordnung der Europäischen Union (EU), die erst kürzlich vom EU-Rat beschlossen wurde, haben die Unternehmen unter Druck gesetzt. Im Zuge der Elektrifizierung wird mit massiven Kräfteverschiebungen am Ersatzteilmarkt gerechnet.

Drei Szenarien

In drei Szenarien haben die Autoren die Auswirkungen verschiedener Elektrifizierungsgeschwindigkeiten auf den Kfz-Ersatzteilmarkt durchgerechnet. Das ambitionierteste Szenario („Radikale Elektrifizierung“) prognostiziert einen raschen Durchbruch der E-Mobilität. Dadurch würde der Anteil batteriebetriebener Fahrzeuge an den Gesamtverkäufen neuer Fahrzeuge unter 3,5 Tonnen auf 82 Prozent im Jahr 2030 steigen und ab 2035 100 Prozent erreichen.

Das mittlere Szenario („Ehrgeizige Transformation“) orientiert sich an den derzeit gültigen politischen und unternehmerischen Zielen. Darin stabilisieren sich die Preise für Batterierohstoffe und es wird eine angemessene Ladeinfrastruktur aufgebaut. Der Anteil der E-Autos an den Gesamtverkäufen wächst dadurch bis 2030 auf 68 Prozent und erreicht von 2035 an 100 Prozent.

Wann sind wir bei 100 Prozent E-Autos?

In dem am wenigsten progressiven Szenario („Erfüllung der Gesetzesanforderungen“) wird der Fortschritt in Richtung vollständiger Elektrifizierung durch verschiedene Widerstände abgemildert, dies beinhaltet unter anderem steigende Kosten für Batterierohstoffe. In der Folge steigt der E-Auto-Anteil am Gesamtabsatz auf 53 Prozent im Jahr 2030 und auf 96 Prozent im Jahr 2035. 2040 wird er bei 99 Prozent liegen.

Die zunehmende Marktdurchdringung von batteriebetriebenen Fahrzeugen wird sowohl die Bedeutung der verschiedenen Produktgruppen im Ersatzteilmarkt als auch die wirtschaftliche Rolle der Akteure verändern. Die Autoren analysierten 250 Komponenten entlang von 53 Fahrzeugsystemen. Sie gehen davon aus, dass batterieelektrische Fahrzeuge im Vergleich zu herkömmlichen Verbrennern ein um etwa 30 Prozent geringeres Umsatzpotenzial bei traditionellen Ersatzteilen haben. Die Gründe: batterieelektrische Fahrzeuge bestehen aus weniger Komponenten und verursachen einen geringeren Verschleiß – unter anderem an Motor, Antriebsstrang und Bremskomponenten.

Um wie viel geht die Nachfrage zurück?

Für jede dieser Komponenten schätzt die Studie die Auswirkung auf die „Brutto“-Nachfrage auf dem Ersatzteilmarkt – sowohl in negativer als auch in positiver Hinsicht (ohne zusätzliche Nachfrage nach neuen Komponenten und Services, wie z. B. Werkstattarbeiten oder Software-Updates). Um die Auswirkung der Elektrifizierung klar zu zeigen, schließt die Studie insbesondere andere Makrofaktoren aus, wie beispielsweise die insgesamt erwartete Vergrößerung der Fahrzeugflotte, Inflation oder technologische Trends wie Advanced Driver Assistance Systems.

Im ehrgeizigsten Szenario wird ein Nachfragerückgang von 12 Prozent bis 2035 und 17 Prozent bis 2040 prognostiziert. Bei den Produktkategorien sind der Verbrennungsmotor sowie der Antriebsstrang mit einem Nachfragerückgang von 49 bzw. 51 Prozent am stärksten betroffen. Im Szenario „Einhaltung von Vorschriften“ wird der Effekt voraussichtlich bis 2040 auf -13 Prozent reduziert.

Elektrifizierung bietet neue Möglichkeiten

Die Elektrifizierung eröffnet den verschiedenen Anbietern der Branche aber auch neue Möglichkeiten entlang der Wertschöpfungskette. So können Teilehersteller ihr Portfolio auf Elektrofahrzeug-spezifische Komponenten umstellen und auch ihr Geschäftsmodell erweitern, indem sie Komponenten wiederaufbereiten oder aufarbeiten. Eine weitere Chance besteht darin, Diagnose- und Lösungen für das Flashen anzubieten, um Werkstätten insbesondere beim anspruchsvollen Software- und Datenmanagement von batterieelektrischen Fahrzeugen mit neuer Elektronik und Konnektivitätsplattformen zu unterstützen. Partnerschaften mit Batteriespezialisten können sowohl dem herkömmlichen Ersatzteilzulieferer als auch dem Batteriespezialisten selbst helfen.

„Ein wichtiger Schwerpunkt der Anbieter wird künftig in der Entwicklung von Kapazitäten zur Aufarbeitung und Reparatur von Batteriesystemen, Elektromotoren, E-Achsen und Leistungselektronik liegen. Bei den Aftermarket-Dienstleistungen erwarten wir eine Verlagerung von der Hardware zur Software. Außerdem wird die präventive Wartung Marktanteile gewinnen, denn die Batterie ist sicherheitsrelevant.“

Frank Schlehuber, Senior Consultant Market Affairs, CLEPA

Großhändler können künftig beim Management von Altkomponenten unterstützen, Recycling-Rohstoffe vertreiben oder ihre Logistiknetze neuen Kundengruppen anbieten. Für Werkstätten gibt es die Option, sich als Batteriefahrzeug-Spezialisten zu positionieren und Generalisten-Werkstätten in der Umgebung ihre Dienste anzubieten. Um ihr Servicenetzwerk zu stärken, können sie darüber hinaus Autoherstellern, die nach Werkstattpartnern suchen, ihre Dienstleistungen zur Verfügung stellen.

Foto: automechanika

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